Der dritte Pass

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Kurz vor 9 am Abend, also fast schon Schlafenszeit in den Bergen. Ich sitze ausnahmsweise (?) im dining room unserer Lodge in Chukung und lasse den Tag in Gedanken Revue passieren.

Die lange und sehr anstrengende Etappe, die uns bis auf 5535 Meter Höhe über den Kongma La Pass gebracht hat, habe ich nach einer dieses Mal wieder heißen hot shower, einem außerordentlich guten Dhal Bhat und ein paar schönen digitalen Nachrichten aus der Heimat schon wieder ganz gut verdaut.

Aber trotz allem bin ich ziemlich platt, und ich scheine nicht der Einzige zu sein. Denn für Morgen hat Markus einen Ruhetag ausgerufen, den wir uns alle sehr gerne gönnen werden. Bevor dann der letzte Höhepunkt unserer Tour ansteht – die Besteigung des Island Peak.

Das lange Laufen stoppt immer öfters und nachhaltiger meine Gedankenkreisel und auch wenn mich die dünne Luft doch das eine oder andere Male sehr nach eben dieser schnappen lässt, geht es mir ausgezeichnet und ich komme alles in allem gut mit den körperlichen Herausforderungen zurecht.

Ab und an ein wenig Kopfschmerzen, aber immer guten Appetit und die vielen Liter Tee, die ich jeden Tag verdrücke, zeigen mir, dass ich weit entfernt bin von Höhenkrankheit und Co..

Wobei ich die wohl geltende Faustregel, die mir eigentlich einen Lister Flüssigkeit für jede 1000 Meter Höhe abverlangt, beim besten Willen nicht schaffe, dann wohl aber noch öfters zu meinen nächtlichen Toilettengänge aufbrechen müsste.

Gestartet sind wir heute sehr Wanderer-freundlich um 8 Uhr in der Früh und kurz nach halb Zehn holen wir schon eine weitere Wandergruppe ein, die allerdings fast zwei Stunden vor uns gestartet ist. Wir sind also gut unterwegs und Markus zeigt sich sehr zufrieden mit „seiner Mannschaft“.

Ich hänge mich heute im Geiste an Christian (das echte Seil wird dann übermorgen ausgepackt), und folge ihm Schritt für Schritt die immer steiler werdenden und am Ende Schnee bedeckten Serpentinen hinauf zum Pass. Heute ohne Stöcke aber dafür meist schweigend, ziemlich oft nach Luft ringend und mit verschränkten Armen vor der Brust.

Die mittlerweile wohlbekannte Blocklandschaft macht mir wieder ziemlich zu schaffen, aber Stein um Stein geht es höher. Und nach gut drei Stunden Gehzeit ist es geschafft, und ich stehe auf dem höchsten der drei Pässe, die wir auf unserer Tour durch den Solu Khumbu zu bewältigen haben.

Wie gewohnt werden wir vom lieben Wandergott einmal mehr reicht beschenkt, denn wieder einmal offenbart sich uns ein wunderschönes und im Grunde unbeschreibliches Panorama: im Hintergrund der Cho Oyu, direkt vor uns die beeindruckend steile Nordseite der Ama Dablam und dahinter Baruntse und Makalu. Einfach grandios!

Wir genießen in der windgeschützten Sonnenseite des Passes die Momente und den Ausblick. Zwar sicher einer der schwierigsten Passübergänge, aber das Panorama ist als Belohnung mit Abstand eines der beeindrucktesten hier im Solu Khumbu. Obligatorisches Mannschaftsfoto inklusive natürlich.

Besonders ein ca. ein Meter langer Felsvorsprung wird zur beliebten Fotoplattform, denn sobald Mann oder Frau sich darauf wagen, um sich ablichten zu lassen, scheinen diese fast über den Bergen zu schweben, so ausgesetzt ist dieser.

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Nach verdienter Rast, einem Schoko-Müsliriegel und ein paar kräftigen Zügen aus der Teeflasche geht es dann schon wieder abwärts. Anfangs noch sehr steil und teils auch über ein Seil gesichert, aber schon am direkt unterhalb des Passes liegenden Sees wird es flacher und auch wieder grüner.

Der Nachmittag wird aber dann doch lang und länger, aber sobald mich die Kräfte verlassen, genügt ein Blick links oder rechts und die sehr abwechslungsreiche Bergwelt um mich herum motiviert mich immer wieder aufs Neue.

Der Island Peak taucht pünktlich zum Nachmittagstee am Horizont auf und wird uns die nächsten Tage auch nicht wieder verlassen. Markus zeigt uns schon mal den Weg, den wir übermorgen einschlagen werden und ich bin sehr gespannt darauf.

Am späten Nachmittag dann endlich zeigt sich Chukung, unser heutiges Tagesziel. Allerdings noch tief unter uns, und so dauert es nochmals über eine Stunde über steile und immer staubigere Pfade bis wird unsere niegelnagelneue und wirklich schöne Lodge erreichen.

Und Vorsicht Premiere: die Lodge verfügt doch in der Tat über isolierte Fußböden, die das Bergstiefelgetrampel am Morgen auch ohne Ohrenstöpsel fast verstummen lassen. Das nenne ich nutzerzentrierte Innovation!

Da wir morgen ausschlafen dürfen und wander-frei bekommen haben, sitzen wir in mittlerweile bestens eingespielter UNO-Runde noch ein bisschen länger und probieren uns durch das gesamte Chips-Sortiment. Kurz nach 10 Uhr aber drängt die Herbergsmutter freundlich aber bestimmt auf ein Ende, so dass ich wenige Minuten später schon in meinem Schlafsack liege und fast unmittelbar den Schlaf des zufriedenen Wanderers schlafe.

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Ein Tief und viele Höhen

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Ich sitze kurz vor 7 Uhr am Morgen im noch fast leeren dining room in unsere Lodge in Gorak Shep und habe eine anstrengende Nacht hinter mir. Eigentlich war Wecken erst um halb Acht geplant, aber ich musste einfach raus.

Die Nacht war eine Mischung aus nass geschwitzt sein (und das trotz etlichen Minusgrade draußen), wilden Träumen (irgendwie wurde mein Lieblings-Leo entführt und ich war dabei und wir wurden wohl in einem Schuhladen im Einkaufszentrum festgehalten), Kopfschmerzen und Herzrasen (die Höhe zeigt doch Wirkung), einem Gang aufs Klo, Wachliegen und einiger Grübelei.

Neben den körperlichen Anstrengungen, die wir jeden Tag zu bewältigen haben, merke ich vor allem in solchen Momenten wie jetzt gerade, wie sehr mich auch die „äußeren Umstände“ zusätzlich herausfordern.

Gerade setzt sich Georg zu mir, der wohl auch eine harte Nacht hinter sich hat und über „irre Kopfschmerzen“ klagt.

Vor allem seit dem wir über 4000 Meter Höhe unterwegs sind (und das sind wir schon seit über einer Woche) sind die Lodges doch eher „rustikal“. Der schon beschriebene Spreeholzverhau, der „hellhörig“ neu definiert, die Toiletten in der Stehvariante und außer dem dining room ist alles kalt und feucht, die Kleidung, die ich nicht in den Schlafsack packe inklusive.

Grundsätzliche lasse ich mich gerne auf solche Bedingungen ein, aber gerade jetzt nerven sie mich und ich wünsche mir ein wenig mehr Komfort und vor allem frisch gewaschene Wäsche. Denn ich stinke bestialisch.

Und die andere Seite der Medaille ist dann der Blick durch das noch halb zugefrorene Fenster. Denn dort zeigt sich auch heute morgen wieder der Himalaya in all seiner Schönheit. Berge so schön, wie sie nur sein können und ein tiefblauer Himmel, für den „tiefblau“ erfunden werden müsste, wenn es das noch nicht gäbe.

Und so Tage wie der gestrige, der uns auf den Kala Patar auf 5545 Meter geführt hat und den ich sicherlich nicht vergessen werde.

Los ging es um 8 Uhr und nach entspannter Wanderung erreichten wir rechtzeitig zur mittäglichen veg noodle soup Gorak Shep, das letzte Lodge-Dorf vor dem Mount Everest und Ziel unzähliger Wanderer aus aller Welt.

Markus entscheidet auf Grund der perfekten Wetterbedingungen, die sich als „windstill und wolkenlos“ beschreiben lassen, schon heute den Aufstieg zum Kala Patar anzugehen und so machen wir uns kurz nach 13 Uhr schon wieder auf. Nur mit leichtem Gepäck bewaffnet aber wild entschlossen.

Die gut 500 zusätzlichen Höhenmeter bis zum Gipfel nehme ich dieses Mal schon beim Anstieg mit Hilfe meiner Stöcke in Angriff und schon nach kurzer Zeit finde ich „meinen“ Rhythmus und steige den nicht allzu steilen Hügel auf breiten Wegen langsam aber stetig bergauf.

Ich lasse Gedanken Gedanken sein und komme fast in den von Markus beschriebenen flow. Mir kommen Bilder von meiner Heldenreise vor ein paar Jahren, höre wie mich meine Ahnen anfeuern und spüre wie mein Held und mein Dämon mit aufsteigen. Ich brauche Beide und es geht nur miteinander, das ist eine gute Erkenntnis, die nicht neu für mich ist, aber die ich gerade jetzt sehr deutlich spüren darf.

Oben angekommen erwarten mich schon

  1. Peter, der dieses Mal die Bergwertung gewonnen hat und schon sehr entspannt am Gipfel sitzt,
  2. Lawang, der wie immer lachend und mega-entspannt vor mir gegangen ist,
  3. gaaaaaanz viel Sonne und noooooch viel mehr Wind und vor allem
  4. eine tolle, tolle, tolle Sicht auf den Khumbu-Gletscher, den Mount Everest und all die anderen Riesen, deren Namen ich mir nicht merken kann.

Ich klettere die restlichen Meter zur Spitze und in einer kleinen Kuhle finde ich einen recht windgeschützen Platz mit unglaublicher Aussicht, genieße genau diese und erwarte zusammen mit Peter und Lawang den Rest unserer clearskies-Truppe.

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Die lassen auch nicht lange auf sich warten, und schon bald begrüßen wir uns mit dem obligatorischen „Berg heil“ und wenn gewünscht Bussis und Umarmungen. Natürlich werden nun alle verfügbaren Kameras gezückt und jeder hält diesen Moment in der für ihn passenden Weise fest.

Der Kala Patar ist wohl der Trekking-Gipfel schlechthin, und daher ist es ganz schön eng rund um das imaginäre Gipfelkreuz, von dem es einen überwältigenden Ausblick in Richtung Mount Everest, Lothse und in die riesige Westwand des Nuptse gibt. Und in die anderen Richtung zieht der Südgrad des Pumori fast unbegreiflich steil in den Himmel. Ich bin wieder einmal ergriffen und freue mich, das erleben zu dürfen.

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Ich lasse mich zusammen mit Markus ablichten und auch alleine. Schieße ein Panorama nach dem anderen und weiß dennoch, dass die Realität zum Glück nicht vernünftig digitalisierbar ist. Das gedrehte Film-Selfie darf aber dennoch nicht fehlen, auch wenn dies sicherlich ein lustiger Anblick ist, so ein sich drehender und über alle Backen grinsender Wandersmann.

Nach gut einer Stunde steigen Markus, Christian, Andrea und ich zu einer windgeschützteren Stelle auf gut halber Höhe und genießen die sich kontinuierlich veränderten Lichtspiele auf den Bergen und dem Gletschereis, das sich uns gegenüber fast 3000 Meter in die Höhe türmt.

Die Sonne geht langsam unter, und das Licht wechselt mal vom Gelb ins Rot, und wieder zurück. Das Knacken des Gletschereises ist nicht zu überhören und wir haben beste Sicht auf den aus unserer Perspektive doch recht „einfach“ aussehenden Weg rauf auf den Mount Everst: Über den Khumbu-Eisfall, dann steil die Lothse-Flanke hoch, auf dem Südhang rechts abbiegen Richtung Everest und nach dem Hillary step die letzten Meter zum Gipfel.

Wahnsinn, das alles mit eigenen Augen stehen zu dürfen (und nicht nur wie vor kurzem im Kino in 3D vorgeführt zu bekommen).

Mir wird dennoch kalt, verabschiede mich von den anderen, die bis zum Sonnenuntergang bleiben wollen, und beginne den Abstieg zu unseren Lodge.

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Mit einem Male liegen zwei Steine vor mir – mein Held und mein Dämon! Ohne zu zögern packe ich die Beiden ein und stapele bei dieser Gelegenheit noch ein „stoa mandle“, also ein Steinmännchen, mit denen ursprünglich der Vorfahren gedacht wurde. Das tue ich sehr gerne und mit einem ehrfürchtigen Namasté verabschiede ich mich danach von Ihnen.

In der Lodge angekommen erwarten mich Ellen, Christian und Katrin mit einem leckeren orange tea, den ich dankbar schlürfe. Ich bin nämlich ziemlich durchgefroren, doch die Aussichten des Tages waren dies sicherlich wert.

Und keine 10 Stunden später sind wir wieder in Lobuche angelangt. Wieder in Zimmer 203, das im Vergleich zu dem Kellerloch, in dem ich die durchwachte letzte Nacht verbracht habe, geradezu paradiesisch mit Fenster und Toilette um die Ecke.

Meine schlechte Laune von heute morgen hat sich bei strahlendem Sonnenschein schnell wieder verabschiedet und die knapp drei Stunden, die wir zum Everest Base Camp marschiert sind, waren eine echte Wohltat.

Da wir uns außerhalb der typischen Everest-Saison befinden, die die meisten Gipfelstürmer im April und Mai anzieht, finden wir das Base Camp einsam und verlassen vor. Ich kann mir nur mit viel Phantasie vorstellen, dass sich hier im Frühjahr mehrere hundert Menschen in unzähligen Zelten niederlassen um die Erstürmung des höchsten Punktes unserer Erde anzugehen. „Einsam und verlassen“ wird dann vertrieben durch umtriebige Hektik, Internet-Cafés und tonnenweise Material, ohne das sich der Everest nicht bezwingen lässt.

Trotzdem ist der Ort auf jeden Fall historisch und ich drücke Markus alle leicht verfrorenen Daumen, dass er seine Everest-Pläne für 2017 erfolgreich umsetzen kann.

Über Gorak Shep, von dem wir uns mit veg noodle soup und einer Coke zur Mittagszeit verabschieden, geht es dann sehr entspannt zurück nach Lobuche.

Dort treffe ich wieder auf einen Mitwanderer aus einer anderen Gruppe, der mich wie immer ganz euphorisch mit „Barbarossa“ begrüßt. Ich gehe davon aus, dass dies mit meinem entsprechenden Bart zu tun hat, nehme es als Kompliment und wir unterhalten uns etliche Minuten lang über – richtig geraten – die Berge.

Wir sind nun 12 Tage unterwegs und in einer Woche werden wir wieder in Lukla und damit zurück in der nepalesischen Zivilisation sein. Bis dahin bleibt es aber spannend und der Island Peak zeigt immer öfters am Horizont. In meinem Gedanken ist er sowieso schon sehr präsent.

Der Abend wird bei veg maccaroni with cheese und etlichen Runden UNO eine lustige Sache, doch leider muss ich auch eine schlechte Nachricht verdauen: ich habe wohl in der letzten Lodge meinen rechten Flip-Flop vergessen, so dass ich von nun an wohl einbeinig zur Toilette hüpfen muss. Aber auch dies wird mir irgendwie gelingen. Versprochen.

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Aus 2 macht 1

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Ich rede ja selbst auch gerne vom Verlassen der uns allen lieb gewonnenen Komfortzone. Dann passiert was, dann wird Veränderung möglich, dann lernt man und entwickelt sich weiter. Schön gesagt und wohl war – und trotzdem eine echte Herausforderung, wenn man es dann tatsächlich tut.

Denn diese Reise bringt mich mehr und mehr raus aus eben meiner Komfortzone und wird gerade dadurch echte Herausforderung und umso intensivere (Lern-) Erfahrung.

Nach dem gestrigen Gipfeltag, der uns schon mit ganz viel Sonne und traumhaften Aussichten verwöhnte, kann es heute nur „schlechter“ werden, oder? Weit gefehlt, die Sonne strahlt mindestens so schön wie am Vortrag und die schneeweißen Berge um uns herum liefern so beleuchtet einmal mehr eine phänomenale Show.

Frühstück war wie weiter oben schon erwähnt um 6 Uhr in der Früh, ich habe aber gut geschlafen und in der Tat süß geträumt: einigen Blödsinn, durchaus Erotisches und andere Verrücktheiten, an die ich mich nach dem Aufwachen wie gewohnt kaum noch erinnern kann.

Und auch das Pinkeln in der Nacht ist mittlerweile eine Routine, die mich nicht weiter stört und ich halbschlafend hinter mich bringe. Denn einerseits muss das bei den all Litern von mint tea oder orang tea , die ich jeden Tag in mich schütte, einfach sein, und andererseits ist das auch immer wieder ein klitzekleines Abenteuer, das meist einer sehr ähnlichen Dramaturgie folgt:

  1. Ich muss mal!
  2. Ich ignoriere das konsequent und schlafe weiter.
  3. Ich muss mal! Dringend!
  4. Ich denke fünf Minuten drüber nach, ob es wirklich sein muss.
  5. Ich muss mal! Ganz dringend!
  6. Ok, dann los. Ich schäle mich aus meinem Schlafsack, bewaffne mich mit meiner Stirnlampe und mache mich auf zur Toilette. Die im besten Fall direkt neben unserem Zimmer zu finden ist, im schlechtestes Fall aber in der unteren Etage oder sogar draußen
  7. Endlich darf ich.
  8. Und jetzt nix wie zurück ins Schlafsackbettchen und weiter schlafen.

Meist nur fünf Minuten in der Kälte, die sich aber immer sehr gut anfühlen, spätestens dann, wenn ich zurück in der Schlafsack-Wärme bin.

Erstes Ziel des heutigen Tages ist der Cho La Pass auf 5420 Meter, und wieder einmal geht es steil und steiler über „Blocklandschaft“, wie Markus zu sagen pflegt. Ich sag einfach „Stock und Stein“ dazu und muss den Vormittag über ganz schön schwitzen. Mein Herz pumpt wie wild und da gönne ich mir etliche Verschnaufpausen, die dann aber auch Gelegenheit geben, die wunderschöne Natur um mich herum zu genießen. Denn das vergisst man ab und an fast schon: denn einerseits gewöhnt man sich doch recht schnell auch an die schönsten Aussichten und andererseits hat man – also ich – bei all der Anstrengungen dafür auch nicht immer den nötigen Blick und die entsprechende Muße.

Also lege ich gerne meine Pausen ein, atme tief durch, klopf mir symbolisch auf die Schultern und lasse meinen Blick über all das Schöne um mich herum schweifen.

Kurz nach 10 Uhr stelle ich mich auf dem Pass zusammen mit allen anderen wieder einmal zum Mannschaftsfoto und freue mich darüber, die nächste Herausforderung geschafft zu haben. Doch dieses Mal bleibt uns nur kurz Zeit zum Verschnaufen, denn schon bald ruft Pradap mit seinem typischen „Yallah, Yallaa“ zum Aufbruch.

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Warum er das auf Arabisch tut, bleibt mir die gesamte Reise ein Rätsel, ich gehorche aber widerstandslos, werfe mir meinem Rucksack über und mach mich auf den Weg abwärts.

Wieder gut unterstützt durch meine Stöcke geht es über den Gletscher, der gut 20 Zentimeter Neuschnee trägt, die mich aber nicht weiter stören sondern das Gehen eher angenehmer machen. Bald schon sind wir wieder in grüneren Gefilden und fast pünktlich um die Mittagszeit erreichen wir Dzonglha, eine Ansammlung von wenigen Lodges, in der wir uns stärken wollen.

Natürlich mit einer veg noodle soup, die zwar auf sich warten lässt, dann aber umso besser schmeckt. Und einer Coke und einem Snickers, denn das habe ich mir verdient. Ich schließe mich den meisten anderen an und nicke zum power nap weg, den Pradap wieder einem auf Arabisch aber nach wenigen Minuten beendet und zum Aufbruch ruft.

Denn wir wollen heute noch eine zweite Tagesetappe bewältigen, um so an einem der folgenden Tage auch das Everest Base Camp besuchen zu können, das eigentlich nicht auf dem Programm gestanden wäre. Aber natürlich „ein Muss“ darstellt für alle ambitionierten Himalaya-Erstürmer.

Ich bin allerdings schon ziemlich geschafft, und daher freue ich mich umso mehr, mit Markus ins Gespräch zu kommen und mich dadurch ein wenig von den schmerzenden Beinen abzulenken. Wir reden über seine Everest-Pläne für die nächsten Jahre, Teamwork beim Bergsteigen, der Frage, was Manager beim Bergsteigen lernen können und über die mentale Seite beim Bergsteigen. Über den flow, der sich einstellt, wenn Markus meist alleine einer seiner Schnellbesteigungen macht und sich in Momenten totaler Konzentration quasi selbst dabei beobachten kann.

Passend dazu zeigt sich die Ama Dablam rechts von uns immer wieder mal mehr, mal weniger in Nebel eingehüllt von ihrer beste Seite und ich habe größten Respekt vor Markus, dass er diesen Gipfel alleine und wohl in Weltrekordzeit bestiegen hat.

Die letzte Stunde laufe ich zusammen mit Miriam und Pradap am Ende der Gruppe, wir sind aber alle viel zu müde, um das Feld noch einmal von hinten aufzurollen. Am späten Nachmittag stehen wir dann aber stolz und zufrieden vor unserer Lodge in Lobuche. Die Tagesbewölkung löst sich fast zur gleichen Zeit auf und umrahmt von Pumori und Nuptse konnten wir einen eigentlich unbeschreiblichen Sonnenuntergang auf rund 5000 Meter Seehöhe genießen. Das sind dann die Anstrengungen des Tages fast schon wieder vergessen.

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Morgen dürfen wir wieder länger schlafen! Mehr als verdient denke ich mir. Denn meine Beine sind nach den Anstrengungen der letzten Tage schwer und den Schweiß der vielen Höhenmeter steckt mir im wahren Sinne des Wortes unverkennbar in den Kleidern.

Die körperlichen Anstrengungen tun mir aber gut, mein Kopf lehrt sich immer mehr und mein Gedankenkreisel dreht sich immer langsamer.

Am Abend lass ich über das weltweite Netz in der Heimat von mir hören, und ich freue mich, dass ich vermisst werde. Wird schön wieder Zuhause bei meinem Lieben zu sein, bis dahin aber genieße ich Nepal und den Everest-Höhenweg: obwohl und gerade weil er mich raus aus meiner Komfortzone bringt.

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Traumhafte Aussichten und Heimweh

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Der liebe Wandergott meint es – wieder einmal gut – gut mit mir, denn ich als Erste gegen halb 10 am Vormittag auf dem Gokyo Ri auf 5350 Meter ankomme, strahlt die Sonne vom gnadenlos blauen Himmel mit meinem Strahlen im Gesicht um die Wette.

Und welche Aussichten um mich herum: Vier der höchsten Gipfel der Welt lassen sich in unmittelbarer Nähe bestaunen (der Cho Oyu 8201m, der Mount Everest 8848m, der Lothse 8414m und der Makalu 8445m), und die Liste der zu sehenden Gipfel mit 6000 und 7000 Meter ließe sich wohl unendlich fortsetzen. Einfach unbeschreiblich schön!

Der Aufstieg war eine entspannte Vormittagsbeschäftigung, die ich zusammen mit Lawang genossen habe. Denn so langsam scheinen ich in der Höhe angekommen zu sein, und meine Beine machen die vielen Schritt aufwärts fast schon von alleine. Schon beim Aufstieg zeigen uns sich die Bergriesen um uns herum in imposanter Manier und ich versuche Lawang zu erklären, dass solch erhabene Schönheit für mich persönlich Beweis ist, dass es „einen Gott“ geben muss. Lawang grinst wie immer und versteht wahrscheinlich nur Bahnhof. Ist aber auch nicht schlimm.

Lawang erzählt, dass er schon auf 7900 Meter im Mount Everest Base Camp IV war, dass aber sein eigentlicher Liebingsgipfel tatsächlich der Island Peak ist, den er wohl schon sage und schreibe 25 Mal erfolgreich bestiegen hat. Ich vermute fast, dass er das nur sagt, weil er mir einen Gefallene tun möchte aber der Island Peak zeigt sich dann tatsächlich neben all den Riesen als „kleiner Hügel“ am Horizont. Kaum zu glauben, dass ich da vielleicht auch noch stehe werde.

Gerade stehe ich aber noch auf dem Gokyo Ri und mittlerweile sind wir komplett und nach dem obligatorischen Gipfel-Bussi von Markus für jeden, der dies möchte, wird wild geknipst. Natürlich das nächste Mannschaftsfoto, aber auch alleine, zu Zweit oder in Kleingruppen. Hauptsache diese unbeschreibliche (Berg-) Schönheit hinter uns ist gut zu sehen.

Endlich macht die Panorama-Funktion, die wir alle in unseren Kameras mit uns herumtragen, Sinn, und wenn wir in diesem Moment eine typische Handbewegung machen müssten, wäre das wohl das „Abfahren“ der wunderschönen Panoramen um uns herum. Ich bin gespannt, ob und wie ich diese angemessen ausdrucken und an meine Karlsruher Wohnungswand hängen kann. Im Vergleich zum echten Erleben kann das aber wohl nur ein farbgedruckter Abklatsch sein. Ich behalte sie vorsorglich auch im Herzen, denn da sind sie absolut unvergänglich.

Mir ist nach Springen und mit etwas Ausdauer und Katrin´s Finger am Auslöser gelingen lustige Sprungfoto-Aufnahmen, auf denen ich scheinbar Richtung Mount Everest abhebe. Lawang springt gleich mit und wundert sich wohl wieder einmal über die Einfälle „dieser Touristen“.

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So erfüllt schmeckt die veg noodle soup nach unserem Abstieg zurück zu unserer Lodge natürlich umso besser, und so machen wir uns frohgelaunt und gut gestärkt zu unserer Nachmittagsetappe auf.

Die uns quer über den fast einen Kilometer breiten Ngozumba Gletscher führt, den größten Gletscher im Solu Khumbu. Im wahrsten Sinne wieder einmal über „Stock und Stein“und die Landschaft um uns herum, lässt sich wahlweise mit „wüst und öd“, „wie auf dem Mars“ oder schlicht als „Eiswüste“ beschreiben.

Wieder einmal werden wir von einem bellenden Begleiter unterstützt, der uns bis am späten Nachmittag begleitet, als wir unsere heutige Lodge in Dragnak erreichen. Der Hüttenwirt ist ein alter Bekannter von Markus, da dieser schon mehrere Jahre in Österreich gearbeitet hat.

Und er hat allem Anschein nach gelernt, wie man europäische Wanderer glücklich machen kann: doppelverglaste Fenster, saubere Toiletten direkt bei den Zimmern und die hot shower darf natürlich auch nicht fehlen. Die fünf Euro gönne ich mir natürlich gerne und bin gerade rechtzeitig frisch geduscht im dining room zurück, als wir vom Hüttenwirt auf einen Schnaps eingeladen werden. Wohl auch eine österreichische Hüttentradition, zu der ich gerne Prost sage.

Das erwartete wifi „tut heute leider nicht“, was ich sehr bedauere, denn ich hätte gerne ein wenig Kontakt mit der Heimat aufgenommen. Denn am Nachmittag hat mich ein wenig Heimweh befallen nach der „Ausgehcrew“, nach Jan und Luisa, nach meiner Trompete, nach ein paar guten Gesprächen, die sich nicht nur um Berge drehen und die nicht auf österreichisch stattfinden und nach der einen oder anderen Kuscheleinheit vor dem Kamin.

Ich merke wieder einmal, dass mir auf Dauer die „richtigen Menschen“ um mich herum mindestens genauso wichtig sind, wie die schönste Natur oder die spannendsten Reiseziele. Das werde ich für meine nächsten Reisen auf jeden Fall in die Planung einfließen lassen.

Ich packe mich und mein Heimweh in meinen Schlafsack und lasse den Nachmittag mal schlafend, mal denkend und mal meditierend aber jederzeit gut eingepackt ausklingen und fühle mich nach diesen zwei Stunden „alleine“ wieder viel besser.

Die Gebetsfahne heute auf dem Gokyo Ri habe ich für mich selbst aufgehängt: für meinen Mut, meine Ausdauer, meinen Optimismus und dafür, dass ich mich darauf verlassen kann, immer den nächsten Schritt zu machen, wenn dieser ansteht. Sei es am Berg oder im wahren Leben.

Pünktlich zum Abendessen bin ich zurück im gut gefüllten dining room, der Dank Doppelverglasung und Bolleroffen mehr als gemütlich eingeheizt ist. Ich genieße mein Dhal Bhat und als Überraschung gibt es als „Gruß aus der Küche“ eine sehr schokoladige chocolate role als Nachtisch.

Anschließend spricht Markus noch das Wort zum Sonntag bzw. für den nächsten Tag. Denn es wird ein sehr langer Tag werden, den wir schon mit einem Frühstück um 6:00 Uhr starten wollen. Da heißt es früh schlafen gehen und süß träumen.

Und meinen Lieben zuhause schreibe ich dann bei nächster Gelegenheit. Das weltweite Netzt ist ja mittlerweile sogar in Nepal fast schon überall angekommen, so dass ich darauf sicherlich nicht allzu lange warten muss.

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Der erste Pass

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Ich sitze – richtig geraten! – im gutgeheizten dining room und lasse zusammen mit etlichen anderen Gästen und dem Großteil unsere Träger den Tag Revue passieren. Ein echter, erster Höhepunkt.

Kurz nach 7 am Morgen habe ich mich noch recht ungerne aus meinem warmen Schlafsackparadies verabschiedet, aber es hilft ja alles nichts und den schon beschriebenen morgendlichen Ritualen folgend waren wir gut eine Stunde später schon auf dem Weg zum Renjo Pass.

Über Nacht gab es nochmals mehrere Zentimeter Neuschnee, was aber den blauen Himmel über uns jetzt nicht daran hindert, ein wirklich blauer Himmel zu sein. Wunderschön, sich mit so einem Blick aufmachen zu können.

Anfangs geht es noch recht gemütlich und im Schatten die ersten Anhöhen empor, später dann wird es aber seeeeehr steil und noch steiler und die Sonne brennt dazu fast schon hochsommerlich vom Himmel. Da bin ich hin- und hergerissen, ob ich mich nun eingepackt lasse, weil der Wind doch kräftig und kalt weht, oder im T-Shirt gehe. Frieren oder schwitzen das ist hier die Frage.

Lawang scheint das nicht zu kümmern, denn er schwitzt offensichtlich nicht und nimmt den immer steiler werdenden Anstieg zum Pass mit Lachen und im Laufschritt. Sherpa müsste man sein denke ich, und mache alle fünf Meter Pause und verschnaufe.

Die letzten Serpentinen sind dann aber trotzdem eine echte Tortur, die ich dann aber umso mehr bejubele, sobald ich den Pass überquere. Peter erwartet mich mit gezücktem Objektiv und stolz stelle ich mich in Pose. Fürs Sprungfoto fehlt mir aber die Kraft, ich wähle die klassische „Mann auf Berg“-Pose und strahle mit der Sonne über mir um die Wette.

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Zusammen mit Peter und Lawang erwarten und begrüßen wir alle anderen Ankommenden, und gut fünf Stunden nach unserem Aufbruch an der Lodge sitzen wir alle wohlbehalten aber ganz schön geschafft auf dem Pass und lassen uns von Markus fürs nächste clearskies-Mannschaftsfoto ablichten.

Doch das ist heute erst die halbe Miete, denn nach einer ausgiebigen Verschnaufpause inklusive Müsliriegel und Himalaya-Panorama geht es nun über eine tief verschneite Gletscher-Moräne steil bergab Richtung Gokyo, unserem heutigen Tagesziel. Ich packe zum ersten Mal meine Stöcke aus, und bin über den zusätzliche Halt wirklich froh.

Der Weg zieht sich in die allseits bekannte Länge, doch am späten Nachmittag erreichen wir unser Ziel – herrlich gelegen an einem tiefblauen See, der aber zum Baden eindeutig (!) zu kalt ist.

Gokyo hat sich in den letzten Jahren vor der abgelegenen Yak-Alm zum vielbesuchten Touristenörtchen gemausert, und so werden wir nach der Tristesse vom Vorabend mit free wifi, german bakery und vor allem meiner heiß ersehnten nicht ganz so heißen hot shower verwöhnt. Die mir trotzdem fünf Euro wert ist und die letztendlich nur aus einem Eimer besteht, der von oben mit warmen Wasser gefüllt wird und mich nach unten über einen Schlauch im wahrsten Sinne des Wortes nass macht. Und wenn man ganz laut more please ruft, gibt es vom Hausherrn sogar noch einen kleinen Warmwassernachschlag, Wanderherz was willst Du mehr.

Internet, Dusche, warmes Wasser, Akku aufladen, frisches Trinkwasser, Snickers, Cola, Chips – damit verdienen sich die Wirte der Lodges ganz offensichtlich eine goldene Nase und ich muss immer grinsen, wenn ich sie dabei beobachte, wenn sie ihr nepalesisches Geld stapelweise vor sich haben und eifrig am zählen sind.

Die german bakery lassen wir uns natürlich nicht entgehen, doch anscheinend wurde nicht mehr mit uns gerechnet, denn als ich zusammen mit Markus, Andrea, Peter, Ellen und Christian den leeren Raum betreten, wird uns erst einmal Licht gemacht und ein paar Minuten später auch schon der Ofen in der Mitte angeworfen. Zum Glück nicht mit den cineman roles oder dem leckeren chocolate cake, sondern mit dem mittlerweile allseits bekannten Yak-Dung.

Und: da ist er wieder! Der überraschend sehr gute Cappuccino. Und das auf fast 5000 Meter Höhe. Eine wie ich finde sehr gute Entwicklung, denn in 2010 hatten wir davon allenfalls geträumt und uns ansonsten an black tea gehalten.

Am Abendessen breche ich mit der Tradition und lasse Dhal Bhat links liegen und widme mich stattdessen mit größter Hingabe den veg fried maccaroni with cheese. Fast wie beim Italiener und nach etliche UNO-Runden mit den üblichen Verdächtigen geht es für mich schon kurz nach acht ins warme Schlafsackbettchen. Hundemüde und mit schweren Beine aber glücklich und zufrieden mit mir und der Welt.

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