„New is a River, not a Lake“

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René Kaufmann ist 1978 im badischen Bruchsal geboren und hat in Berlin und Heidelberg Ethnologie studiert. Während andere eine beruflicheKarriere in einem einzigen Feld einschlagen, gibt sich der 36-Jährige gleich drei Berufen und Berufungen hin: Er führt nicht nur eine Innovationsberatung, sondern ist gleichzeitig Limonadenhersteller und Bierbrauer. 
Während des Studiums führt ihn eine ethnologische Feldforschung zu samoanischen Migranten nach Los Angeles. 2005 startet er seine berufliche Karriere in der qualitativen Marktforschung, um internationale Unternehmen wie Roche, Telekom oder Philips zu beraten.
Durch videoethnographische Projekte, die ihn direkt in Wohnzimmer, Badezimmer oder Arztpraxen führen, erklärt er Marketing- und Innovationsverantwortlichen die alltäglichen Bedürfnisse ihrer Konsumenten. Nach einer Zwischenstation bei der französischen Social Media Intelligence-Agentur Linkfluence gründet er 2014 seine eigene Agentur coalisten.
Sein Lebensmotto fasst René zusammen mit „New is a river, not a lake“. René lebt mit seiner Frau und seinen 2 Söhnen in Heidelberg.

 

Jochen: Toll, dass Du Dir Zeit nimmst für unser Interview. Ich kenne Dich als Ethnologe, Design Thinker, Braumeister und Limonadenerfinder, das klingt nach einem sehr abwechslungsreichen (Berufs-) Alltag. Wie kam es dazu?

René: Eigentlich führe ich in den verschiedenen Rollen nur Fähigkeiten und Talente zusammen, die in meiner Persönlichkeit angelegt sind, bzw. die ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe. Das sind: Neugier und Empathie, Lust an Handwerk und der Wunsch danach, Eigenes zu schaffen statt nur zu konsumieren.

Im Moment versuche ich, daraus einen Lebensentwurf für mich selbst zu machen. Er basiert auf 3 Säulen: Leidenschaft, Experiment und Profit. Die Kurzphilosophie ist ungefähr: “Mach Etwas mit Leidenschaft, weil Du davon überzeugt bist. Etwas, bei dem Du Dich ausprobieren kannst. Und etwas, mit dem Du Geld verdienen kannst”.

Jochen: Beim Thema „Ethnologie“ werde ich natürlich hellhörig — da stelle ich mir Feldforschung bei den letzten noch unerforschten Stämmen in Afrika oder im Dschungel vor. Aber ist das die Realität?

René: Das ist Realität, wenn man sich als Ethnologe für eine akademische Laufbahn entscheidet. Unerforschte Stämme gibt es zwar nicht mehr viele, aber es ist tatsächlich so, das Ethnologen immer noch nach Afrika, Asien oder Australien fahren, um vor Ort Kulturen zu erforschen, indem sie für eine längere Zeit in und mit einer Kultur leben. Die Tendenz geht aber dazu, das westliche Ethnologen in der eigenen Kultur Feldforschung betreiben. Da geht es dann um Subkulturen, Migranten oder sogar den Wissenschafts-betrieb als “Stamm”.

Die zentrale Methode der ethnologischen Feldforschung ist aber noch die gleiche wie seit 100 Jahren: Teilnehmende Beobachtung. Das bedeutet, durch ein Wechselspiel von empathischem Eintauchen in eine Kultur und (halbwegs) objektiver Beobachtung, die Einstellungen, Bedürfnisse oder den Alltag einer Gruppe von Menschen zu verstehen. Danach schreibt man das dann in einer sogenannten Monographie auf. Erst dann ist man ein echter Ethnologe. Echte Feldforschung plus Monographie sind sozusagen der Ritterschlag für einen Ethnologen.

Jochen: Wie kamst Du zu dem Thema?

René: Ich habe Ethnologie und Religionswissenschaften in Berlin und Heidelberg studiert. Während der Zeit in Berlin waren mein Schwerpunkte die Rolle von Religion und Kultur in Migrationssettings. Als Feldforschungsprojekt fuhr ich 3 Monate nach Los Angeles, wo ich mit samoanischen Migranten lebte. Samoa ist eine Insel in der Südsee und die samoanischen Migranten in Kalifornien ahmen Stammes- und Hierarchiestrukturen im Migrationskontext nach. Ich habe vorher Samoanisch gelernt und dort bei einem Pfarrer gewohnt, der praktisch der Häuptling ist. Durch die Feldforschung habe ich viel gelernt über die Anwendung von ethnologischen Methoden aber auch was es heisst, sich inmitten einer doch sehr anderen Kultur zurechtzufinden.

Als ich nach Heidelberg wechselte verschob sich mein Schwerpunkt auf das Thema Konsum und Populärkultur in der westlichen Welt. Ich begann, mit videoethnographischen Methoden, den Einfluss von Kultur auf Konsumpraktiken und -Motive zu erforschen.

Abseits der akademischen Ethnologie haben ethnograpische Methoden der Beobachtung, Interviewführung, Empathieentwicklung, Interpretation und Ideenfindung Eingang in die Wirtschaft gefunden. Das nennt man dann Angewandte Ethnologie (Applied Anthropology) oder Business Anthropology. Viele Methoden und Aspekte beim Design Thinking sind im Grunde übrigens tief ethnologisch. Meine Magisterarbeit hatte dann auch den Titel “Die Ethnologie zu Markte tragen”. Darin habe ich den Weg von ethnographischen Methoden seit den 30er und 40er Jahren in die Wirtschaft nachgezeichnet. Von dort war der Sprung in meinen ersten Job als qualitativer Marktforschung nicht mehr weit.

Jochen: Und wie kannst Du dieses Wissen für Deinen beruflichen Alltag nutzen?

René: Als Ethnologe lernt vor allem drei Dinge: Beobachten, Hinterfragen und Analysieren. Beobachtung ist im beruflichen Alltag unabdingbar, um Menschen zu verstehen. Egal ob Kunden, Kollegen oder Konsumenten. Und ein guter Beobachter kann auch ein Thema holistisch in seinem Kontext erfassen.

Hinterfragen ist leider nicht mehr selbstverständlich und im Beruf sollte man viel öfter Fragen stellen wie: “Machen wir das wirklich richtig? Macht das Sinn wie wir es machen? Was haben unsere Kunden davon, wie wir etwas machen?”.

Und Analysieren müssen wir heute ja sowieso alles: Daten, Informationen, Menschen, uns selbst. Als Ethnologe lernt man finde ich sehr gut, wie man aus Informationen wirklich brauchbares Wissen macht, bzw. welches Wissen für Menschen wirklich Relevanz für ihren Alltag erzeugt.

Alle drei Fähigkeiten zusammen sind keine schlechte Vorraussetzung, um in einer zunehmend komplexen Welt einigermaßen den Überblick zu behalten.

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Jochen: Thema „Bierbrauen“ — Du hast mal einen schönen Artikel drüber geschrieben, wie Bier brauen und Design Thinking zusammenhängt. Erzähl doch mal:

René: Ich habe die zentralen Schritte des Design Thinking — Beobachten& Verstehen, Ideenfindung, Prototyping und Testing — mit dem Prozess des Bierbrauens verglichen. Also nicht das industrielle Brauen von Bier, sondern das handwerklich-kreative Bierbrauen, das gerade eine Rennaissance in der sogenannten Craftbeer-Bewegung erfährt. Da geht es darum, individuelle Biere mit hohem Anspruch an Qualität und Braukunst herzustellen.
Das Vorgehen entspricht im Grunde genau dem Design-Thinking-Ansatz. Man sucht nach Inspiration durch Rezeptrecherche oder fragt Bierkonsumenten nach ihren Vorlieben. Man entwickelt ein individuelles Rezept, experimentiert mit neuen Hopfensorten und macht eine Reihe von Testsuden, um zum perfekten Ergebnis zu kommen, das man dann “implementiert”. Eigentlich eine klassisch iterative Herangehensweise.

Jochen: Ich kenne Dich als neugierigen und offen Menschen — hat das auch mit Deinem Hintergrund als Ethnologe zu tun?

René: Da gibt es sicher gewisse Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeit und akademischem Hintergrund. Man muss schon neugierig und offen sein, um so etwas zu studieren. Ethnologie und Religionswissenschaften waren schon immer sehr stark interdisziplinär angelegte Fächer. Während dem Studium liest man Soziologen, Philosophen, Ökonomen bis hin zu Neurobiologen oder Medizinern. Dadurch versteht man Menschen und kulturelle Phänomene in seiner Ganzheit, bzw. wird befähigt, Muster zu erkennen und Erklärungen mit einander zu verknüpfen.

Andererseits sind Neugier und Offenheit Teil meiner Persönlichkeit. Meine Oma wurde im ehemaligen Deutsch-Südwest-Afrika geboren und ich lauschte schon als Kind wie gebannt ihren Kindheitserinnerungen an das Leben in einer fremden, fernen Kultur. In meiner Jugend in den 1990ern war ich dann in der Punk- und Hardcoreszene aktiv. Die war damals ganz stark geprägt von Themen wie Toleranz, Community und einem kritischen Hinterfragen von Gesellschaft oder Macht. Da ging es um gegenseitigen Respekt, ausprobieren, über den Tellerrand schauen, neue Leute kennenlernen, andere Meinungen anhören.

Jochen: Wie geht der Ethnologe durch die Welt? Was gibt es für ihn in einem Städtchen wie Heidelberg noch zu entdecken?

René: Der Ethnologe geht mit wachen Augen durch die Welt. Er beobachtet gerne was Menschen machen und warum sie etwas so oder so machen. Er lernt gerne neue Menschen und Dinge kennen. Er ist offen für Veränderung statt sie als Gefahr zu sehen. Und der Ethnologe hört nie auf zu fragen. Eigentlich ist man ein bißchen wie ein Kind.

In Heidelberg gibt es einiges zu entdecken. Hier werden gerade riesige Konversionsflächen frei und ich bin wahnsinnig gespannt, wie die Stadt und ihre Bürger diese Flächen entwickeln und bespielen werden. Und ich persönlich merke, das junge Menschen wieder hierbleiben anstatt nach Berlin oder Hamburg zu gehen, weil sich in der Kunst-, Kultur- und Kreativszene etwas tut in Heidelberg und Mannheim. Leider ist vor allem Heidelberg aber auch sehr gesättigt und neue Dinge haben es nicht immer ganz leicht.

Jochen: Was kann der Ethnologe vom Design Thinker lernen? Uns was umgekehrt?

René: Am meisten kann der Ethnologe lernen, seine Methoden anwendungs- und praxisorientierter zu verkaufen. Die meisten Ethnologen sind nämlich in Sachen Selbstvermarktung sehr mies obwohl viele ihrer Fähigkeiten und Methoden und Fähigkeiten in der Wirtschaft sehr gefragt sind. Design Thinking ist gerade ein sehr gefragtes Instrument in Unternehmen, um Probleme kreativ zu lösen. Ich kenne aber komischerweise fast keine Ethnologen, die in dem Bereich in Agenturen oder Unternehmen arbeiten und ihre Kompetenzen monetarisieren.

Der Design Thinker kann etwas über die wissenschaftlichen Fundamente von Kultur, Verstehen und Empathie lernen. Wir reden als Berater oder Trainer ja ständig von Begriffen wie Kultur, Kreativität oder Innovation. Aber kaum einer fragt sich, was diese Begriffe im Jahr 2014 eigentlich bedeuten. Klar, es geht darum, Unternehmen kreativ oder innovativ zu machen, aber dazu lohnt sich sicher auch mal ein Blick in die Kulturgeschichte dieser Begriffe. Ich lese zum Beispiel gerade ein Buch des französischen Soziologen Marcel Mauss über das Thema Reziprozität und Tausch. Das ist von 1925 und erklärt den aktuellen Trend der Sharing Economy besser als jedes aktuelle Sachbuch dazu.

 Jochen: Was sind Deine nächsten Pläne? Oder macht der Held mal Pause?

René: Die Heldenpause macht gerade etwas Winterpause. Wir wollen die Limo im Frühjahr 2015 mit neuem Schwung vorantreiben, um Heldenpause jenseits von Heidelberg bekannter zu machen. Das ist bisher ein “Projekt der Leidenschaft”, mit dem wir kein Geld verdienen. Deshalb kümmere ich mich gerade vor allem um neue Kunden und Projekte für meine Agentur coalisten.

Und wirklich ganz, ganz aktuell arbeite ich an der Idee für ein Social Startup. Dabei geht es um eine App, die man benutzen kann, um sich bei jemandem zu entschuldigen und gleichzeitig einen kleinen Geldbetrag an eine gute Sache spendet. Da schließt sich der Kreis, denn diese Idee bringt hoffentlich Leidenschaft, Experimentierfreude und Profit im positiven Sinne zusammen.

Jochen: Da wünsche ich viel Erfolg und bedanke mich recht herzlich für unser Gespräch (und freue mich schon auf unser nächstes gemeinsames Mittagessen im Tati!).

Wenn sich Helden aufmachen

Nina_TrobischNina Trobisch liegt die kreative Entwicklung von Mensch und Organisation am Herzen.
Sie ist Theaterwissenschaftlerin und Dramadozentin, Systemischer Coach und Gestalttherapeutin sowie Initiatorin des Heldenprinzip®. Als Dramaturgin für Veränderung begleitet sie mit ihrer Firma Einzelpersonen, Teams und Unternehmen.
Zudem ist sie Lehrbeauftragte an der Universität der Künste in Berlin. Die Verknüpfung von sinnlichem Erleben, modernem Wissen und mythologischer Substanz, ist das, wozu sie beitragen will.

 

Jochen: Vielen Dank, dass Du Dir Zeit für ein Interview nimmst. Wer war der Held Deiner Kindheit? Und warum?

Nina: Der Held, nein besser die Heldin meiner Kindheit ist Aschenputtel. Ich blättere oft in meinem wunderschönen Bilderbuch. Ein Bild, ganz grau und staubig, zeigte sie matt und erschöpft in der Küche, auf einem anderen erstrahlte sie in einem traumhaft glitzerndem Kleid und sie zog alle staunende Blicke auf sich.  Ein krasser Unterschied, den ich liebte.
Wenn ich mir heute überlege, was mich an ihr beeindruckt hat, war es wohl ihr Wille und ihre Kreativität, sich von Gemeinheit, Bosheit und Elend nicht unterkriegen zu lassen. Sie hat immer wieder Ideen, findet Auswege und Lösungen in ihrem Dilemma, suchte Hilfe und wird am Ende mit der Liebe belohnt. Das ist doch schön.

Jochen: Ich kenne die Heldenreise aus meiner Ausbildung zum Gestalttherapeuten als sehr intensive Selbsterfahrung. Wie seid ihr auf die Idee gekommen die Heldenreise auf Innovationsprozesse bzw. Organisationsentwicklung anzuwenden?

Nina: Die „Heldenreise“, von der Du sprichst, benennt einen Seminartitel von Paul Rebillot. In seinem Konzept hat er das Grundmuster des sogenannten Monomythos in kongenialer Art für ein Seminar genutzt, was durch einen kreativen Selbsterfahrungsprozess zur Selbsterkenntnis führt. Den Monomythos wiederum hat Joseph Campbells in seinem Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ eingeführt.

Jochen: Was verbirgt sich denn hinter diesem Monomythos?

Nina: Also, da ich muss einen kleinen Umweg machen, um Deine Frage zu beantworten: Seit es Menschen gibt, gibt es Veränderung und die Überlieferung damit verbundener Erkenntnisse. In Mythen und Geschichten wurden Fakten, Erlebnisse und Gefühle zusammengefasst, die Menschen mit dem universellen Thema Veränderung erfahren hatten. Das Erstaunliche daran ist, dass sich in diesen Geschichten – aus allen Zeiten und Kulturen – ein typisches Grundmuster verbirgt, so wie auch die Natur mit dem Rhythmus der Jahreszeiten einer inneren Struktur folgt. Wir alle kennen diese Struktur „Aufbruch-Abenteuer-Rückkehr“ von Filmen und Geschichten, aber auch aus Medienberichten und dem eigenen Leben. Immer handelt es sich um eine oder mehrere Personen, die den risikoreichen Weg vom Vertrauten ins Ungewisse wagen.

Der Mythenforscher Joseph Campbell nun hat Erzählungen von Helden aus aller Welt analysiert und daraus die Essenz gefiltert, die er  „Monomythos des Helden“  nannte. Diese Akteure – ob fiktiv oder real,  ob Mann oder Frau, ob Kind oder Jugendlicher, ob heute oder gestern, ob viele oder einer…. gehen einen Weg, begeben sich auf eine abenteuerliche Reise, auf eine „Heldenreise“.

Jochen: Der Monomythos also als „Blaupause“ für Veränderungsprozesse. Das ist spannend. Und diese Blaupause verwendet ihr in Euer Arbeit mit Firmen und Organisationen?

Nina: Ja genau. Denn viele Unternehmen glauben immer noch, dass sie mit einem Mehr an Planung, Steuerung und Kontrolle ein Gegengewicht zur den schnelllebigen immer komplexeren Dynamiken schaffen. Doch damitwirklich neue Prozesse in Gang gesetzt werden, braucht es meiner Meinung nach viel mehr Kompetenzen im Umgang mit Ungewissheit, sprich: Mut, Kreativität, Verantwortung, Selbstbestimmtheit und Intuition. Wenn sich heute Menschen, Teams oder Unternehmen mit Change und Innovation „herumschlagen“, meistern sie aus meiner Sicht nichts anderes als „Heldenreisen“ – so wie unzählige Menschen vor ihnen.

Jochen: Und Eure Kunden lassen sich darauf ein?

Nina: In innovativen Unternehmen rennen wir da in der Tat offene Türen ein,  andere sind dagegen eher in ihren Mustern und Handlungsgerüsten gefangen,  sprechen viel von Erneuerung aber suchen Lösungen im „mehr von desselben“.

Unsere Ausgangsüberlegung war, dass uns das Erkennen dieses archetypischen Musters mit seiner in Metaphern verpackten inneren Weisheit hilft, die verschiedenen Ebenen von Erneuerung zu durchdringen und gestalten zu lernen. In unserem Verstehen geht es gerade darum, auch in schwierigen ungewissen Situationen handlungsfähig und kreativ zu sein. Dazu müssen Menschen ihre schöpferische und intuitive Seite herausbilden bzw. dieses Potenzial wieder entdecken. Das braucht andere Werte,  eine andere Führungskultur, mehr Vertrauen in und Fähigkeiten von Menschen, das Zulassen von Emotionalität und Intuition.

Jochen: Das ist dann Euer Heldenprinzip, oder?

Nina: Das Heldenprinzip®  macht den kollektiven Erfahrungsschatz der Menschheit für heute zugänglich. HELD bezeichnet die Akteure der Veränderung und PRINZIP steht für seine universelle Schrittfolge. Seine Struktur schafft einen Orientierungs- und Handlungsrahmen, um inneren und äußere Prozessdynamiken erfolgreich zu gestalten, deshalb nennen wir es „Kompass für Innovation und Wandel“. Vielfältigen Methoden aus Kunst, Systemik, Gestaltarbeit und Management helfen dass die Akteure (Helden und Heldinnen des Veränderungsprozesses) schöpferische Potenziale entfalten, um Krisen, Aufbrüche und Umbrüchen zu meistern.

Jochen: Beschreib doch bitte die Schritte eures Heldenprinzip®?

 Nina: Der Veränderungsprozess, wie ihn das Heldenprinzip® zeigt, findet auf zwei grundsätzlich verschiedenen Ebenen statt:  – die gekannte Welt (gewohnten Muster und Routinen) und die unbekannte Welt (fremdes Terrain und der ungewohnte Herausforderungen). Diese beiden Welten sind durch eine Schwelle getrennt.

Das Geschehen kann man in drei Akte unterscheiden, die sich in ihren Aufgaben und Dynamiken voeneinander unterscheiden:

 1. Akt: Aufbruch:Der Held (Mensch / Team / Organisation) erhält von innen oder außen einen Ruf, sich von der  alten Welt, ihren Mustern und Strukturen zu lösen, um sich für seine Bestimmung ins Ungewisse zu wagen. Eine Not oder eine Vision fordern heraus. Im Fokus steht: Die Entwicklung der Bereitschaft, sich zu lösen, um etwas noch vage Zukünftiges zu erringen.

2. Akt: Abenteuer

Der Held (Mensch / Team / Organisation) bewältigt herausfordernde Bewährungen, bei denen im Voraus nicht klar sein kann, worin sie bestehen. Im Fokus steht hier: Die Öffnung für eine schöpferische Auseinandersetzung in widersprüchlichen Bewährungsproben sowie der Erwerb neuer Denk- und Handlungsmuster.

3. Akt: Rückkehr

Der Held (Mensch / Team / Organisation) wappnet sich, die unbekannte Welt wieder zu verlassen, um die Errungenschaften in der alten Welt, zu entfalten. Im Fokus stehen: Das Auslösen von Wirkung, Implementieren und Verstetigen der erworbenen Kompetenzen.

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Jochen: Hast Du konkrete Beispiele, wie das dann in Projekten mit Kunden aussehen kann?

Nina: Der erste Unterschied liegt natürlich darin, ob wir einen personalen oder einen organisationale Prozess analysieren, begleiten oder reflektieren. Zweifelsohne ist ein Veränderungsprozess, in den viele Menschen oder  sogar Organisationseinheiten involviert sind, schwieriger zu handhaben. Denn die unterschiedlichen Beteiligten sind nicht alle unbedingt an der gleichen Stelle im Prozess. Haben alle den Ruf gehört? Ist er bereits ein gemeinsam geteiltes Anliegen? Sind vielleicht einige schon bereit für den Schwellenübergang ins unbekannte Land, wohingegen andere aber noch tief in der Weigerung stecken?

Ist die Organisationskultur so weit, dass sie die Beteiligen ermutigt, Neues zu erproben; zu üben, auch Fehler machen zu dürfen? Wie geht man mit großen Herausforderungen oder gar teilweisen Niederlagen um? Wie wird nach den großen Prüfungen im Alltag tatsächlich die Erneuerung verankert?  Wie bewusst wird eine Ruhe-und Erholungsphase eingeräumt, um das Unternehmen nicht an den Rand des burn outs zu führen.

Beobachtungen und Wahrnehmungen stehen am Beginn, damit passende Begleitsequenzen gefunden werden, die Jeden wertschätzen. Auf dem Weg soll möglichst niemand „verloren“ gehen. Veränderungsprozesse sind nicht über das Knie zu brechen und nicht von der Stange zu haben. Jeder Prozess muss mit Sensibilität und Kraft gestaltet werden.

Wir bieten u.a. Jahreszyklen für Führungskräfte von Unternehmen an, in dem diese in einer co-kreativen Gemeinschaft lernen, den Weg der Organisation neu zu überdenken, zu spüren und anders zu lenken.

Es gibt viele Ideen für Formate für das Heldenprinzip®  in Organisations – und Personalentwicklung: Workshops, Coaching, Labore, Retreats; denn die Fähigkeit schöpferisch mit Veränderung umzugehen, brauchen wir in vielfältigsten Facetten.

Jochen: Welche Pläne hast Du für die Zukunft? Wie geht es weiter mit dem Heldenprinzip?

Nina: Mein ganz persönlicher Ruf ist es, mit dem Heldenprinzip® und schöpferischen Arbeitsmethoden meinen kleinen Beitrag für das Gelingen des Wandels zu leisten.

Das Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip“ (2009-2013), eine Kooperation der Universität der Künste und der Hochschule für Technik und Wirtschaft, ging Ende 2013 zu Ende. Seither werden die Ergebnisse und Erfahrungen in der Praxis der Personal- und Organisationsentwicklung von Deutschland, Österreich und in der Schweiz etabliert; über interaktive Vorträge und konkrete Angebote für Einzelpersonen, Teams und Unternehmen.

Um die Verbreitung, aber auch die Qualität der Arbeit zu sichern, bieten wir an der Universität der Künste| Berlin Career College eine Weiterbildung mit Hochschulzertifikat an. Hier bieten wir Experten, die professionell in Innovations- und Veränderungsprozessen tätig sind, (Trainer, Berater und Change Begleiter) eine „schöpferische Gebrauchsanleitung“ für den kunstvollen Umgang mit Veränderung an. In zwei Kurse a drei Modulen erweitern die Teilnehmenden ihr  Know How um archetypische (mythologische), dramaturgische, künstlerische und psychologische Dimensionen der Veränderung. Sie erhalten damit außergewöhnliche Impulse für Diagnose, Begleitung und Reflexion von Veränderungsprozessen und methodische Inspiration für ihre berufliche Praxis. (www.innovation-heldenprinzip.de)

Jochen: Und zu guter Letzt: wie würden denn der Held Deiner Kindheit heutzutage mit dem Wunsch nach Innovation umgehen? Was kann eine Firma von ihm lernen?

Nina: Tja, welche Innovation könnte sich Aschenputtel wünschen?

Geht es um das Finden innovativer Produkte oder eine Maschine, mit der sie die Erbsen sortieren kann (denn die schönen Kleider machen es überhaupt erst möglich, dass sie Eintritt ins Schloss erhält und die Täubchen helfen ihr beim Erbsenauslesen)?

Ich glaube, dass es vielmehr um eine Haltung zum Leben geht: Nicht aufgeben – Freunde gewinnen, die helfen – kooperieren. Sie hält nicht fest an den ach so wichtigen Dingen (der goldene Schuh klebt an der Treppe fest, sie geht ohne ihn weiter. Sie bleibt trotz schlimmer Erfahrungen im Vertrauen, dass das Gute sich durchsetzen wird und das Gemeine, Habsüchtige und nur auf den eigenen Vorteil bedachte Handeln letztendlich den Kürzeren zieht. Selbst wenn die bösen Schwestern dem gierigen Rat der Mutter folgend sich die Füße verstümmeln lassen um als Königin in Geld und Reichtum zu schwelgen, wird ihr Verhalten ruchbar und bestraft.

 Das könnte eine Firma von Aschenputtel lernen – nicht nur den eigenen Vorteil zu sehen, sondern das Wohl des Ganzen im Blick zu behalten.

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„Augen auf. Ohren auf. Herz auf.“

IMG_6420_web-001Gina Schöler, Glücksministerin und Kommunikationsdesignerin M.A.
„Seit 2014 führe ich als selbständige Kommunikationsdesignerin und Glücksministerin, die sich mit ganzem Herzen dem Glück und der Gestaltung widmet, diese großartige Kampagne weiter. Als Kommunikationsdesignerin behandle ich das Thema „Glück und Wohlbefinden“ von einem ganz anderen Blickwinkel aus: Mit viel Kreativität, spielerischem Herangehen, Humor und Interaktivität fordere ich mit dieser Kampagne die Menschen heraus, sich mit diesem wesentlichen Thema zu beschäftigen. Als Glücksministerin möchte ich mit meiner Arbeit einen sinnvollen, nachhaltigen und glücklichen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten. Im Rahmen dieser Tätigkeit biete ich u.a. Seminare, Workshops, Vorträge und Veranstaltungen an, die zu den Ideen und Zielen der Kampagne „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ beitragen.“
 

Jochen: Hi Gina, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst für ein Interview. Du strahlst wie immer mit der Sonne da draussen um die Wette, darum erübrigt sich meine erste Frage vielleicht fast schon: wann warst Du zuletzt glücklich?

Gina: Ich habe das große Glück, eine kleine Pausen-Heldin zu haben, die mich regelmäßig daran erinnert, abzuschalten, rauszugehen und die kleinen Momente wertzuschätzen. Gretel ist ein fröhlicher Straßenmix aus Rumänien und weiß das Leben wirklich zu schätzen. Und wenn man gerade wieder vertieft in die Arbeit ist und sie dich anstubst, ist die Welt in Ordnung, egal, wie hektisch es gerade außenrum ist. Das letzte Mal glücklich war ich heute Morgen (Montag!) – eine Powerwoche liegt vor mir, aber wenn man im Nebel am Neckar entlang läuft und die Sonne sich durchkämpft, kann man nur glücklich sein.

Jochen: Was heißt es denn für Dich „glücklich“ zu sein?

Gina: In eben diesem Moment zufrieden sein, sich wohl fühlen, den Kopf auch mal abschalten können (nicht immer leicht…), Sorgen vergessen, dem Leben vertrauen, das Positive sehen und stärken, anderen etwas Gutes tun, Freude in den kleinen Dingen finden. Glücklich sein bedeutet für mich, die Balance für mich persönlich zu finden zwischen Gas geben und bremsen, Freude und Unglück, Ruhe und Aktion. Auf sein Bauchgefühl hören, Wünsche erfüllen, Entscheidungen treffen, im Hier und Jetzt leben.

Jochen: Du möchtest mit Deinem Ministerium für Glück Menschen dazu ermutigen um- und neu-zudenken. Wie ist diese Initiative entstanden?

Gina: Das ganze Projekt entstand aus einer Semesteraufgabe im Masterstudiengang Kommunikationsdesign an der Hochschule Mannheim im November 2012. Ich feiere mit dem MfG also 2jähriges, Wahnsinn!
Aufgabe war es, eine Kampagne zu gestalten, die in unserer Gesellschaft einen Wertewandel initiiert, anstößt und begleitet. Wie können wir auch in Zukunft nachhaltig, gut und somit auch glücklich leben? Was müssen wir dafür tun und ändern? Sich auf das Wesentlich zurückbesinnen, nicht im Hamsterrad durchdrehen, vor lauter Konkurrenz- und Leistungsdruck den Blick für das Schöne im Leben verlieren… So ist die Metapher des MfG entstanden, anhand der die große Frage nach dem guten Leben transmedial nach außen kommuniziert wird und Deutschland sich auf kreative Weise fragen kann, was uns denn eigentlich glücklich macht.

Jochen: Ja, was macht uns denn glücklich? Kann man „glücklich sein“ vielleicht sogar lernen?

Gina: Ja, definitiv. Üben kann man es zumindest prima! Hier verweise ich gerne auf das Glücksspiel des MfG, es enthält mittlerweile bis zu 75 verschiedene Alltagsaufgaben, die einem mit den verschiedensten Mitteln klarmachen, wie einfach es sein kann, etwas für das eigene und das Glück der anderen beizutragen. Manchmal ist es der selbstgebackene Kuchen, der Tag Auszeit, eine Kissenschlacht oder ehrenamtliche Hilfe, eine nette Notiz im Briefkasten oder ein Kompliment. Sich selbst und anderen eine Freude machen, unverhofft und selbstverständlich, macht mächtig Spaß und vor allem nachhaltig glücklich. Und wenn man sich einfach bestimmte Gewohnheiten antrainiert, dann steigert sich das Wohlbefinden maßgeblich!
Und mit einer Portion Kreativität findet man ganz schnell selbst noch jede Menge Aufgaben und Glückspotenzial für den eigenen Alltag!

Jochen: Du bist Glücksministerin UND Designerin und damit auch von Berufswegen kreativ. Was bedeutet es denn für Dich „kreativ“ zu sein?

Gina: Ich finde, kreativ sein bezieht sich nicht nur auf das Gestalterische oder Grafische, es bezieht sich auf fast jede Lebenslage. Querdenken, um die Ecke denken, vorausdenken, mitdenken und vor allem auch -fühlen. Neugierig sein. Wahrnehmen. Wenn man Empathie mit Kreativität vereint, wird es richtig spannend! Vielleicht ist es wirklich das Geheimrezept, was dieses Projekt für mich zu einem „Lebensprojekt“ hat werden lassen, zumindest vom Thema her!

Jochen: Empathie mit Kreativität verbinden, da lacht natürlich mein Design-Thinker-Herz. Und was brauchst Du um kreativ sein zu können?

Gina: Ruhe, Spannung, Aktion, Pausen, Reisen, Menschen, Eindrücke, Sinneswahrnehmungen, Natur – das sind ein paar Sachen, die ich „brauche“ bzw. die mir helfen, neue Ideen entstehen zu lassen. Manchmal reicht aber auch eine Badewanne oder eine Portion Halbschlaf.

Jochen: Macht kreativ sein glücklich?

Gina: Dafür müsste man vielleicht erst einmal „kreativ“ definieren. Aber ich denke, Menschen, die wirklich von innen heraus kreativ sind, Ideen haben, Innovationen entstehen lassen und somit im Flow sind, sind daher auch glücklich. Vielleicht nur für den Moment, in dem die Idee entsteht, aber etwas Neues schaffen und erleben ist ein wichtiger Teil zum Glücklich(er) werden, auch laut der Positiven Psychologie.

Jochen: Oder sind gar nur glückliche Menschen kreativ?

Gina: Nein, das denke ich nicht. Es gab seit jeher schon immer kreative Künstler, die sogar auch schwer depressiv waren. Bei mir persönlich ist es aber so, dass am besten authentische Ideen entstehen, die Hirn und Herz beinhalten, wenn ich mit allem im Reinen, ausgeglichen und fröhlich bin. Wenn dann noch ein gutes Team außenrum ist und man sich gegenseitig die Bälle zuspielen kann, kann eigentlich fast nichts mehr schief gehen.

Jochen: Zu guter Letzt: ein Tipp von der Expertin für ein kleines bisschen mehr Glück?

Gina: Augen auf. Ohren auf. Herz auf.

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Keynote auf der transHal 2014

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Im Rahmen der diesjährigen transHal 2014 hatte ich das Vergnügen vor ca. 150 Zuhörern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in meiner Keynote über Design Thinking zu erzählen und zu erläutern, wie Design Thinking als Herangehensweise und viel mehr noch als Arbeitskultur helfen kann, innovative Lösungen für komplexe Probleme zu finden.

Aufgelockert durch mehrere kleinere interaktive Übungen für das Auditorium war das eine sehr unterhaltsame Stunde.

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Das komplexe Problem einer zuverlässigen Zugverbindung, auch bei mehrmaligem Umsteigen, zu ermöglichen, war allerdings noch nicht ganz realisiert – vielleicht sollte die Deutsche Bahn auch einmal Design Thinking ausprobieren. Andererseits hatte ich dadurch auch endlich mal wieder richtiv viel Zeit für einen guten Krimi – so hat also wie immer alles zwei Seiten.