Von Kathmandu bergwärts

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Der Hund vor unserem Hotel ersetzt sehr konsequent den Hahn, den ich Dank meinem knallgelben Ohrstöpsel gekonnt überhöre, Ellen aber die sowieso unruhige Nachtruhe raubt.

So brauchen wir eigentlich keinen Wecker, als dieser uns um kurz nach halb Sechs weckt. Denn eine Mischung aus Vorfreude auf die kommenden Tage, Aufregung über bevorstehende Höhenmeter und der Jetlag einer Reise (fast) um den halben Globus, haben mir und wie ich später erfahre, der halben Wandertruppe, den Schlaf geraubt. Gedankenkreisel inklusive versteht sich.

Das Frühstück entschädigt dann aber doch ein wenig: Frisches Obst, Schoko-Croissants und schon wieder ein überraschend guter Cappuccino. Allem Anschein nach hat auch die Kaffeekultur in Nepal Einzug gehalten, das macht Mut.

Das österreichische-niederbayrische Sprachwirrwar hat sich über Nacht nicht verflüchtigt, aber mein „Göld“ tausche ich noch schnell an der Hotel-Rezeption und fülle meinen Geldbeutel mit einem schönen Stapel bunten Papier, das mich mehr an Spielgeld als an echte Währung erinnert. Wer braucht schon Münzgeld?

Kurz nach 6 sind alle duffle bags auf dem Dach des kleinen Busses verpackt, der uns zum Flughafen bringen wird und unter lautem Gebell des Weck-Hundes verabschieden wir uns vom Holly Himalaya. In gut zwei Wochen sehen wir uns hoffentlich wieder!

Auf der Fahrt durch Kathmandu wieder das gleiche Bild wie am Vortrag – fast leere Straßen, die nur von den allseits präsenten Rikschas aber nur wenigen Taxis und Auto bevölkert werden. Trotzdem oder gerade deswegen genieße ich die Fahrt durch die morgendliche Szenerie und packe Bilder von eiligen Schulkindern, schläfrigen Bettlern, umtriebigen Straßenhändlern und sonstigem Fußvolk in meinen Erinnerungsspeicher.

Am Flughafen geht es dann nicht links zum internationalen Teil, sondern rechts herum zu den Inlandsflügen. Das Gepäck nehmen uns zahlreiche und hilfreiche Hände ab, und ehe ich mich versehe, stehe ich in der proppenvollen Abfertigungshalle. Unser Ziel ist der berühmt-berüchtigten Tenzing-Hillary Flughafen in Lukla, der schon James Bond ein wenig Nervenkitzel beschwert hat. Der gut 30-minütige Flug wird uns und allen anderen Wanderern eine einwöchige Anreise ins Himalaya-Gebiet ersparen, für die wir ein wenig Nervenkitzen gerne in Kauf nehmen.

Kein geringerer als Sir Edmund Hillary selbst hatte Start- und Landebahn 1964 von örtlichen Sherpas für lumpige 2650 Dollar erbauen lassen und die Legende besagt, dass diese einen zweitägigen Festtanz durchgeführt haben, um den Boden entsprechend zu verfestigen. Erst im Jahre 2001 wurde die nur 527 Meter lange Schotterpiste durch eine asphaltierte Piste ersetzt, die bei 12-prozentiger Steigung nur bergwärts angeflogen werden kann.

Die Abfertigungshalle ist voll von Wanderern und deren Gepäck, guides, Trägern und Flughafenpersonal in meist farbenprächtigen Uniformen. Das alles gemischt in bester nepalesischer Chaoskultur, aber wie uns Markus versichert, finden am Ende die Wanderer, ihr Gepäck und die entsprechenden Flüge meist wie durch Zauberhand zusammen.

Anders als in 2010 vertrauen wir dieses Mal nicht auf Buddha (Air), sondern geben uns vertrauensvoll in die Hände von Yeti (Air). Mit dem Bus geht es über das Rollfeld, vorbei an unzähligen Hubschraubern, die teils sicherlich mehr Jahre auf den Rotorblättern haben als meine Wenigkeit. Unsere zweimotorige Propellermaschine kann altersmäßig da sehr gut mithalten, aber spätestens als ich unsere zwei sehr entspannten Piloten in ihren wohl kaum zu vermeidenden Ray-Bans erblicke, mache ich mir keine weiteren Gedanken über unser Fluggerät und freue mich auf das anstehende kleine Flugabenteuer.

Zumal uns eine äußerst adrette nepalesische Stewardess mit einem gehauchten Namasté begrüßt und uns unsere Plätze zuweist. Es herrscht freie Platzwahl – „zwei nebeneinander und viele, viele hintereinander“ wie es damals bei der Bundeswehr immer hieß, wenn wir uns in Zweierreihen aufstellen sollten. Dieses Mal dürfen wir aber sitzen und Christian und Miriam freuen sich wie österreichische Schneekönige in der ersten Reihe sitzen zu dürfen – mit ungehindertem Blick auf Cockpit und Horizont.

Die adrette Nepalesin verteilt Bonbons für die Ohren und Watte für die Aufregung (oder habe ich sie da falsch verstanden?), und die zwei entspannten Ray-Bans starten Motor und Rotoren und geben Gas.

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Keine 20 Minuten später zeigen sich die ersten Himalaya-Riesen, leider für mich wieder auf der falschen Seite. Da bleibt mir nur der Blick durch Miriams Objektiv, aber ich bin mit sicher, dass ich all das auch sehr bald mit eigenen Augen sehen kann.

Kurz vor der Landung frägt die adrette Nepalesin, ob wir irgendwelche security concerns hätten. Die haben wir nicht, und wie es sich für entspannte Ray-Bans gehört, landen die beiden uns dann kurz drauf sehr sicher, sanft und fast pünktlich um 9 Uhr auf der in der Tat seeeehr kurzen Landebahn.

Mit dem Gepäck ist das aber in Nepal wohl so eine Sache – wie gehabt hat nicht alles Gepäck in die Maschine gepasst, wird aber im Laufe des Tages nachgeliefert.

Die Wartezeit gibt uns aber Gelegenheit Lukla und Umgebung ein wenig zu erkunden. Die Einkaufsstraße bietet alles was das Wandererherz begehrt, inklusive gut gemachter Kopien von Starbucks und Hardrock Café.

Ich frage mich, warum ich meine Ausrüstung nicht hier zusammengekauft habe, die Preise sind offensichtlich wesentlich günstiger als im Basislager in Karlsruhe und zumindest die Markenlogos, die drauf genäht sind, sind die gleichen. In der german bakery gibt es eine black forrest cake – kaum zu glauben aber wahr und mit dem – richtig geraten – überraschend guten Cappuccino lässt sich gut auf fehlendes Gepäck warten. Die german bakery scheint im übrigen eine Art Qualitätssiegel für nepalesische Backwaren zu sein, denn auf unsere Tour werden wir uns des Öfteren dran erfreuen, ob bei black forest cake, cinemon role oder choklate cookies.

Zusammen mit Andrea, Miriam und Christian besuchen wir danach spontan das ortsansässige Krankenhaus. Die drei auch aus beruflichem Interesse, denn Andrea ist Internistin, Miriam Anästhesistin und Christian Rettungshelfer in der Flugrettung. Zusammen mit Katrin und Christina, die beide Krankenschwestern sind und Markus, der auch als Rettungshelfer arbeitet, haben wir also eine ungeheurere medizinische Kompetenz im Wanderteam – was soll mir da schon passieren?

Das Krankhaus erholt sich gerade von nicht zu übersehenden Erdbebenschäden, aber dank finanzieller und sehr tatkräftiger Hilfe vieler Freiwilligen sind Apotheke, Röntgenraum und Geburtenhilfe schon wieder voll einsatzfähig und die Patientenzimmer fast schon wieder bezugsfertig.

Heute liegen die medizinische und administrative Verantwortung bei den Nepali selbst, gegründet würde das Krankhaus aber von Nicole Niquille, der ersten Bergführerin der Schweiz. Seit aber beim Morchelsammeln ein nussgrosser Stein durch ihren Schädel schlug und das Mobilitätszentrum zerstörte, lebt Nicole im Rollstuhl. Was sie aber nicht daran hindert, auch persönlich vor Ort zu sein und sich dann von mehreren Sherpas sprichwörtlich über Stock und Stein tragen lässt.

Wir treffen ihren Ehemann der gerade vor Ort ist und die Renovierungsarbeiten leitet. Er wirkt wie jemand, der seinen Sinn im Leben gefunden. Beim Blick auf die lachenden Kinder, die gerade im Krankenhaus gesunden dürfen, ein sehr guter Sinn wie ich finde.

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Gegen 12 Uhr ist unser Gepäck vollständig und selbst Ellens Tasche ist gut angekommen. Jetzt noch schnell das Mittagessen aussuchen und dann kann es fast schon los gehen. Ich entscheide mich für die gute alte veg noodle soup – ein mir noch aus 2010 sehr wohlbekanntes Mittagsritual, das ich auch dieses Mal sehr konsequent lebe. Dhal Bhat am Abend und veg noodle soup am Mittag, das macht hungrige Wanderermägen satt und die Beine wieder stark.

Kurz nach 14 Uhr dann bläst Markus in sein imaginäres Bergführerhorn und wir machen uns auf zu unserem heutigen Tagesziel nach Phakding. Da die ersten Tage vor allem der Akklimatisation dienen, lassen wir es sehr ruhig angehen. Am Ortsende von Lukla gibt es das offizielle Team-Foto, das wir am Ende unserer Reise wiederholen werden. Ich bin auf die Unterschiede gespannt, bei mir wird auf jeden Fall mein Bart zu ungewohnter Länge angewachsen sein. Wir registrieren uns bei der tourist police, denn wir betreten nun den Nationalpark. Eine kleine aber durchaus kostspielige Angelegenheit, selbst die Berge in Nepal gibt es nicht mehr umsonst – solange aber die Eintrittsgelder zum Beispiel dafür investiert werden, zahlreiche Müllbehälter aufzustellen, die dann die wunderschöne Natur vor allzu viel Müll verschonen, finde ich das eine sehr sinnvolle Investition.

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Pradap, unser nepaleischer Reiseleiter, der Sitar, bildet wie all die Tagen den Abschluss und sammelt alle Liegengebliebenen ein. Vorneheraus läuft die ersten Tage Naran, der uns am base camp am Island Peak auch bekochen wird (und ich verrate hier nicht allzuviel, wenn dabei auch die veg noodle soup eine Rolle spielen wird). Naran erinnert mich irgendwie an eine 1,60 Meter kleine Variante von Spocky. Beamen wird es uns aber über die anstehenden Berge auch nicht können.

Vorbei an ersten Gebetsmühlen und Mani-Steinen geht es über unzählige mal mehr, mal weniger gerade aber meist sehr hohen Stufen. Bei der durchschnittlichen Größe der Nepali sind die meiner Meinung nach wohl eher für Riesen gebaut. Die Träger, die uns überholen, nehmen diese Hürden aber mit Bravour – in Flip-Flops und mit bis zu 120 Kilogramm auf dem Buckel versteht sich. Ich selbst merke die ersten Höhenmeter durchaus, immerhin sind wir schon fast auf 3000 Meter über dem Meeresspiegel und ich muss mich wie der Rest der Truppe wohl erst noch ein wenig eingrooven.

Natürlich habe ich meine Sony griffbereit bei mir und es dauert nicht lange, bis ich die ersten Impressionen für die Nachwelt und die Daheimgebliebenen verewigt habe: erste Bergpanoramen, lachende Kinder (ich muss morgen meine Süßigkeiten parat haben), bunte Gebetsfahnen, satt-schönes Grün.

Ähnlich wie in Kathmandu hält sich der Verkehr auf dem breiten Wanderweg doch sehr in Grenzen, und zusammen mit dem doch recht nebeligen Wetter werde ich die nächsten Stunden fast ein wenig melancholisch, so „einsam“ ist es um uns herum. Viele Lodges sind leer oder ganz geschlossen und in den Dörfern, die wir auf unserem Weg durchwandern, sehen wir wenig Einheimische und noch weniger Mitwanderer. Die Folgen des Erdbeben werden wohl doch noch länger spürbar sein, auch wenn die Hütten und Lodges meist schon lange wieder aufgebaut sind.

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Gegen 17 Uhr erreichen wir dann die Snowland Lodge in Phakding, inklusive hot shower und wifi. Schnee hat es heute nur auf den Gipfel der Berge ums uns herum, aber es wird nicht lange dauern, bis ich den ersten Schneeball werfen werde.

Ellen und ich beziehen Zimmer 101, was im Wesentlichen daraus besteht, unseren Schlafsack auszupacken und die Stirnlampe zurecht zu legen. Der Abend wird dann bei Dhal Bhat, mint tea und dem ersten geteilten Snickers im gut geheizten dining room eine sehr entspannte Angelegenheit, bei der ich mich mutig und entschlossen dem österreichischen Sprachenwirrarr aussetze, allerdings erstmals noch mit eher bescheidenem Erfolg.

Gegen 21 Uhr heißt es dann schon Schlafenszeit – ich bin auf meinen Mega-Schlafsack gespannt, der mich eine Stange Geld gekostet hat. Wird er mich warmhalten? Und wer oder was wird uns heute den Schlaf rauben? Wir werden sehen …

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