Der erste Pass

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Ich sitze – richtig geraten! – im gutgeheizten dining room und lasse zusammen mit etlichen anderen Gästen und dem Großteil unsere Träger den Tag Revue passieren. Ein echter, erster Höhepunkt.

Kurz nach 7 am Morgen habe ich mich noch recht ungerne aus meinem warmen Schlafsackparadies verabschiedet, aber es hilft ja alles nichts und den schon beschriebenen morgendlichen Ritualen folgend waren wir gut eine Stunde später schon auf dem Weg zum Renjo Pass.

Über Nacht gab es nochmals mehrere Zentimeter Neuschnee, was aber den blauen Himmel über uns jetzt nicht daran hindert, ein wirklich blauer Himmel zu sein. Wunderschön, sich mit so einem Blick aufmachen zu können.

Anfangs geht es noch recht gemütlich und im Schatten die ersten Anhöhen empor, später dann wird es aber seeeeehr steil und noch steiler und die Sonne brennt dazu fast schon hochsommerlich vom Himmel. Da bin ich hin- und hergerissen, ob ich mich nun eingepackt lasse, weil der Wind doch kräftig und kalt weht, oder im T-Shirt gehe. Frieren oder schwitzen das ist hier die Frage.

Lawang scheint das nicht zu kümmern, denn er schwitzt offensichtlich nicht und nimmt den immer steiler werdenden Anstieg zum Pass mit Lachen und im Laufschritt. Sherpa müsste man sein denke ich, und mache alle fünf Meter Pause und verschnaufe.

Die letzten Serpentinen sind dann aber trotzdem eine echte Tortur, die ich dann aber umso mehr bejubele, sobald ich den Pass überquere. Peter erwartet mich mit gezücktem Objektiv und stolz stelle ich mich in Pose. Fürs Sprungfoto fehlt mir aber die Kraft, ich wähle die klassische „Mann auf Berg“-Pose und strahle mit der Sonne über mir um die Wette.

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Zusammen mit Peter und Lawang erwarten und begrüßen wir alle anderen Ankommenden, und gut fünf Stunden nach unserem Aufbruch an der Lodge sitzen wir alle wohlbehalten aber ganz schön geschafft auf dem Pass und lassen uns von Markus fürs nächste clearskies-Mannschaftsfoto ablichten.

Doch das ist heute erst die halbe Miete, denn nach einer ausgiebigen Verschnaufpause inklusive Müsliriegel und Himalaya-Panorama geht es nun über eine tief verschneite Gletscher-Moräne steil bergab Richtung Gokyo, unserem heutigen Tagesziel. Ich packe zum ersten Mal meine Stöcke aus, und bin über den zusätzliche Halt wirklich froh.

Der Weg zieht sich in die allseits bekannte Länge, doch am späten Nachmittag erreichen wir unser Ziel – herrlich gelegen an einem tiefblauen See, der aber zum Baden eindeutig (!) zu kalt ist.

Gokyo hat sich in den letzten Jahren vor der abgelegenen Yak-Alm zum vielbesuchten Touristenörtchen gemausert, und so werden wir nach der Tristesse vom Vorabend mit free wifi, german bakery und vor allem meiner heiß ersehnten nicht ganz so heißen hot shower verwöhnt. Die mir trotzdem fünf Euro wert ist und die letztendlich nur aus einem Eimer besteht, der von oben mit warmen Wasser gefüllt wird und mich nach unten über einen Schlauch im wahrsten Sinne des Wortes nass macht. Und wenn man ganz laut more please ruft, gibt es vom Hausherrn sogar noch einen kleinen Warmwassernachschlag, Wanderherz was willst Du mehr.

Internet, Dusche, warmes Wasser, Akku aufladen, frisches Trinkwasser, Snickers, Cola, Chips – damit verdienen sich die Wirte der Lodges ganz offensichtlich eine goldene Nase und ich muss immer grinsen, wenn ich sie dabei beobachte, wenn sie ihr nepalesisches Geld stapelweise vor sich haben und eifrig am zählen sind.

Die german bakery lassen wir uns natürlich nicht entgehen, doch anscheinend wurde nicht mehr mit uns gerechnet, denn als ich zusammen mit Markus, Andrea, Peter, Ellen und Christian den leeren Raum betreten, wird uns erst einmal Licht gemacht und ein paar Minuten später auch schon der Ofen in der Mitte angeworfen. Zum Glück nicht mit den cineman roles oder dem leckeren chocolate cake, sondern mit dem mittlerweile allseits bekannten Yak-Dung.

Und: da ist er wieder! Der überraschend sehr gute Cappuccino. Und das auf fast 5000 Meter Höhe. Eine wie ich finde sehr gute Entwicklung, denn in 2010 hatten wir davon allenfalls geträumt und uns ansonsten an black tea gehalten.

Am Abendessen breche ich mit der Tradition und lasse Dhal Bhat links liegen und widme mich stattdessen mit größter Hingabe den veg fried maccaroni with cheese. Fast wie beim Italiener und nach etliche UNO-Runden mit den üblichen Verdächtigen geht es für mich schon kurz nach acht ins warme Schlafsackbettchen. Hundemüde und mit schweren Beine aber glücklich und zufrieden mit mir und der Welt.

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Das erste Haus am Platz

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Die gemischten Wettervorhersagen vom Vorabend haben sich als vor allem nicht ganz richtig herausgestellt, und so war es heute vor allem eines: sehr sonnig.

Und so schön mit Schneezuckerguss überzogen machen die Berge um uns herum gleich noch eine viel bessere Figur. Hat sich also alles zum Besten gewendet – und ohne zu viel vorweg zu nehmen: daran wird sich wettertechnisch bis zum Ende unserer gemeinsamen Tage absolut nichts mehr ändern.

Unser Weg führt uns über die alte tibetische Handelsroute Richtung Norden über den Nanga Pa zwar gemächlich aber doch stetig aufwärts bis wir am frühen Nachmittag Lunghen auf 4400 Meter Höhe erreichen, unser heutiges Etappenziel. Die wenigen und sehr einfachen Lodges liegen mehr zufällig als geplant am Wege und zum Glück haben unsere vorausgeeilten Träger schon reserviert. Wohl nicht im ersten Haus am Platz, wobei es dies heute wohl auch nicht gibt, denn unsere Behausung ist mit „schlicht und einfach“ doch recht passend beschrieben.

Aber der dining room ist natürlich beheizt, und wie für diese Höhe typisch wird der Bollerofen, um den sich alle scharen, mit Eimer voller getrocknetem und gepressten Yak-Mist betrieben.

Nach den für nepalesische Verhältnisse fast schon luxuriöse Lodges der ersten Tage sind wir nun, wohl auch in Anbetracht der immer größeren Höhe, doch sehr spartanisch untergebracht. Da muss die nächste warme Dusche noch ein wenig warten und wieder einmal platziere ich in meiner imaginären Liste von all den Dingen, die ich aus der Zivilisation mitnehmen möchte, die „heiße Dusche“ an allerallererste Stelle.

Um aber mein Loblied auf meinen Schlafsack erneut anzustimmen: die Anschaffung hat sich wirklich gelohnt. Genauso wie meine wollenen Wandersocken, die dieses Mal die „Wollenen“ von Mama ersetzen und so tadellos ihren Dienst versehen, dass ich un-getaped und völlig blasenfrei über Berg und Tal komme.

Fürs nächste Mal werde ich dann in Merino-Unterwäsche investieren, das danken mir glaube ich dann auch meine Mitwanderer.

Getreu dem Motto „hoch wandern und tief schlafen“ sind Ellen, Peter, Pradap und ich am späten Nachmittag nochmals losgezogen und haben ein wenig die Hängen rund um unsere Lodge erkundet. Dass dann die Wolken endgültig aufreißen, und wir noch einen wunderbaren Sonnenuntergang erleben dürfen, ist ein schönes Schmackerl, das wir gerne mitnehmen.

Mittlerweile sind wir eine Woche unterwegs, und so langsam wird es ernst. Morgen geht es über den Renjo La Pass, der mit 5475 Meter Höhe fast schon so hoch ist wie der Thorong La Pass während der Annapurna-Runde in 2010. Höher, schneller, weiter – ganz im olympische Sinne versteht sich, denn natürlich ist der „Weg das Ziel“ und nach so vielen Phrasen ist es nun doch Zeit zum Schlafgehen und Kräfte sammeln für die zukünftigen Höhenmeter.

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Weltrekordhalter und Zeichentrick

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Heute ist es endlich so weit – als wir am Nachmittag das schöne Kloster oberhalb von Thame besuchen, knacken wir die 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Allerdings bekommen wir dafür keine Pauken und Trompeten, aber wieder einmal eine sehr schöne Aussicht auf Land und Leute. Ich kann immer mehr loslassen, entschleunige bei jedem Schritt ein bisschen mehr und lass mich immer mehr ein auf Nepal.

Thame und die umliegende Region war mit am stärksten vom Erdbeben betroffen und noch im Sommer waren fast alle Hütten und Lodges meist fast vollständig zerstört. Unzählige Helfer mit viel Eifer sowie finanzielle und tatkräftige Hilfe auch von außerhalb Nepals haben aber dazu beigetragen, dass wir kaum noch Menschen sehen, die in Zelten leben müssen.

Wie schon in den letzten Tagen fehlen aber offensichtlich (noch) die Touristen, und so sind wir den Tag über wieder einmal fast alleine unterwegs und dürfen quasi auch als Erstlinge in der gerade wieder aufgebauten Lodge übernachten. Deren stolzer Besitzer Apa Sherpa hat im übrigen sage und schreibe 21 (!) Mal den Mount Everest bestiegen, und hat es damit sogar in das Business Buch der Rekorde geschafft.

Da überrascht es nicht, dass der wie immer gut beheizte dining room mit zahlreichen Fotos, Urkunden und Trophäen dekoriert ist und ich mich fast wie ich einem kleinen Museum fühle. Ein sehr interessantes Museum allerdings wie ich finde, den audio guide suche ich aber vergebens. Apa Sherpa lebt mittlerweile in den USA, ist aber in Nepal eine echte Berühmtheit und nutzt diese Berühmtheit auch für zahlreiche soziale Projekte. Zuletzt ist er in 99 Tagen durch ganz Nepal gewandert, ohne allerdings den 22. Bergsturm am Everest zu wagen.

Geheizt wird mittlerweile nur noch mit Yak-Dung, der allerorts gesammelt und getrocknet wird. Ich denke an mein kleines Malheur beim letzten Mal, als ich den gemütlichen Hüttenabend dadurch beendet habe, dass ich das Ofenrohr zum Einsturz gebracht hatte und dem beißenden Yak-Dung-Rauch dadurch im wahrsten Sinn des Wortes Tür und Tor geöffnet habe.

Dieses Mal werde ich vorsichtiger sein, die Ofenkonstruktionen scheinen aber auch nicht so waghalsig und wackelig zu sein.

Am Morgen haben wir uns vorerst aus Namche verabschiedet, und sind dann bei wieder strahlendem Sonnenschein entlang der alten Handelsroute gewandert. Der doch sehr frische Wind erinnert uns aber immer wieder daran, dass wir uns mittlerweile auf fast 4000 Höhenmeter bewegen und das Tuch über dem Gesicht wird spätestens jetzt mein gern gesehener Reisebegleiter.

In Thamo, dem kleinen Bruder von Thamel, legen wir die obligatorische Mittagsteepause ein, und ehe ich mich versehe, bin ich von drei lustigen Brüdern im Alter von 5 bis 11 Jahren umgeben, die ich der Einfachheit halber unter Tick, Trick und Track verbuche – auch wenn die Drei mich in bestem Englisch mit einem „My name is …“ begrüßen.

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Heute ist nämlich schulfrei, Zeit genug also um, die wenigen Touristen um das eine oder andere „Zuckerl“ zu erleichtern und ein wenig Smalltalk zu betreiben. Ich freue mich über die Ablenkung und wir unterhalten uns während meinem mint tea und der veg noodle soup ein wenig über Schule und das Leben im Dorf. Selfie zu Vier inklusive versteht sich.

Beim nachmittäglichen Besuch des Klosters komme ich mit einem der jüngeren Mönche ins Gespräch. Er wurde vor gut 20 Jahren im Alter von vier Jahren ins Kloster gebracht und lebt seit dem hier – und wird auch sein ganzen Leben hier verbringen, wie er mir wie selbstverständlich erklärt. Für arme und meist kinderreiche Familien ist es nach wie vor üblich, einen Sohn oder eine Tochter ins Kloster zu geben. Dort gibt es Nahrung und sie erhalten eine Ausbildung – trotzdem eine unschöne Vorstellung wie ich finde. Sowohl für die Eltern als auch für die kleinen Kinder, die sich dadurch für ihr ganzes Leben ins Klosterleben verabschieden.

Wir dürfen wieder den Gebetssaal besichtigen, und wieder bin ich berührt von der bildgewaltigen und farbenfrohen Schönheit dieses heiligen Ortes.

So ganz sind wir offensichtlich aber noch nicht in der völlig einsamen Bergwelt angekommen, denn im dining room unserer Lodge sitzen die Kinder des Hauses vor einem imposanten Fernseher und schauen völlig fasziniert irgendwelchen Zeichentrick-Quatsch im nepalesischen Kika. Und wie bei uns muss am Ende die werte Frau Mama dafür sorgen, dass die Beiden ins Bett schleichen, nachdem der Papa mit seinen eher unentschlossenen Versuchen daran gescheitert ist. Schön, dass sich manche Dinge scheinbar auf der ganzen Welt gleichen.

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Unsere Gespräche am Abend ranken sich wieder einmal um die Frage, „wie schwer“ der Island Peak denn nun sein wird. Für Markus gibt es aber nur eine Voraussetzung um uns dann auf den Gipfel mitzunehmen: wir müssen gesund sein und fit genug. Den Rest wird er dann richten. Das klingt im Grunde beruhigend und am Ende wird es genau so kommen. Aber dazu später sehr viel mehr.

„Obi gehn“ heißt im übrigen „runter gehen“ wie ich von Andrea und Christian lerne. Klingt für mich paradox aber man(n) – also ich – lässt sich ja gerne auf fremden (Sprach-) Gebräuche ein, seien es die nepalesischen oder auch die österreichischen.