Und wieder Sonnenschein pur am Morgen. Das Wetter verwöhnt uns wirklich nach Strich und Faden. Aber wie ich Markus schon gestern gesagt habe, kenne ich Nepal bis jetzt nur bei bestem Wanderwetter, denn das war in 2010 so und ist bis jetzt auch in 2015 so.
Nach der gestrigen absoluten Königsetappe haben wir heute eigentlich spätes Frühstück um halb Neun, ich bin aber schon wach und sitze im sonnigen dining room. Das italienisch-spanische Pärchen im Zimmer neben uns hat lautstark mitgeholfen, dass ich schon wach bin, denn bei den wie in den Lodges üblich sehr dünnen Sperrholzwänden fällt es schwer, nicht mitzuhören, was nebenan so vor sich geht: Ehestreit, Intimitäten und aktueller Klatsch um nur die Klassiker zu nennen.
Sperrholzplatten in verschiedenen Größen und Dicken sind im übrigen wohl ein wesentlicher Bestandteil aller Gebäude in der Bergregion, und fast täglich sehen wir so bewundernswerte wie bedauernswerte Träger, die die Platten schwerbeladen überall dorthin tragen, wo gebaut werden soll. Und dabei mitunter bis so 120 Kilogramm auf die meist recht schmalen Schultern packen. Für mich nicht nachvollziehbar und wohl nur möglich, weil schon die Kinder damit anfangen, große Gewichte von A nach B zu tragen.
Die Träger werden nach Gewicht und Tagen bezahlt, und daher ist in diesem Fall wohl weniger nicht mehr und jeder Träger versucht so viel wie möglich mit sich zu schleppen. Und da es im gesamten Solu Khumbu keine Straßen gibt, sind die Träger lebensnotwenige Ein-Personen-Transportunternehmen, die ab und an unterstützt von Yaks oder Maultieren, dafür sorgen, dass alles zum Leben notwenige an die richtigen und vor allem auch entlegensten Stellen kommt.
Ich fühle mich frisch und ausgeruht, nach dem gestrigen 12-stündigen Bergmarathon ist das fast ein kleines Wunder wie ich finde.
Am Vormittag des Vorvortages hatten wir uns in Richtung base camp aufgemacht und der gut drei-stündige Spaziergang war nach dem Ruhetag die genau richtige Dosis „Bewegung“, um unsere müden Knochen wieder in Fahrt zu bringen.
Markus, Peter, Pradap und die Träger waren schon am Morgen aufgebrochen, um alle Zelte aufzubauen. Denn neben den 2-Mann-und-Frau-Zelten für uns tapfere Bergbesteiger gibt es ein Küchenzelt, in dem Naran für uns echte Leckereien zubereiten wird, sowie ein großes Speisesaalzelt, in dem wir ganz romantisch bei Kerzenschein unser Abendessen und das frühe Frühstück genießen werden.
„Früh“ heißt in diesem Fall „sehr früh“, denn Pradap weckt uns schon kurz nach halb Drei mit seinem laut quäkenden Wake Up Song aus seinem überdimensionalen Handy. Da wir uns aber schon um 19 Uhr in unsere Zelten verzogen hatten, fällt es mir leicht aus meinen Schlafsackfedern zu kommen.
Die Nacht im Zelt war überraschend entspannend und kuschelig. Meinem Schlafsack sei Dank! Da draußen fast 20 Minusgrade zu vermelden waren, wanderten dieses Mal auch die Einlegesohlen meiner Wanderschuhe in den Schlafsack und ich warf mich vorsorglich schon in meine Thermounterwäsche.
Trotz gewärmter Einlegesohlen bekomme ich übrigens den Tag über durchaus kalte Füße. Interessanterweise aber immer nur in Abwechslung mit den kalten Fingern. Beides zusammen bleibt mir zum Glück erspart, ich beneide aber dennoch Christian, der am frühen Morgen mit beheizbaren Handschuhen aufwartet, die sich ganz wunderbar mit den beheizbaren Socken ergänzen, die wiederum Markus anpreist.
Den unvermeidlichen und nächtliche Gang zur Toilette möchte ich an dieser Stelle aber auch nicht vergessen, denn barfuß bei diesen Minusgraden pinkelnd hinter unserem Zelt zu stehen und dabei von wirklich abertausend Sternen am wolkenlosen Himmel über mir beobachtet zu werden, ist schon etwas ganz Besonderes.
Nach dem wie gesagt sehr frühen und auch sehr schnelle Frühstück, bei dem ich mich ausnahmsweise mit porrige zufriedengebe, bläst Markus wieder einmal in sein imaginäres Bergführerhorn und wir brechen kurz nach halb Vier auf in Richtung Island Peak.
Am Himmel die schon gewürdigten Sterne und auf unseren Köpfen unsere Stirnlampen. So erleuchtet bahnen wir uns unseren Weg über die ersten Serpentinen, die gleich recht steil loslegen. Markus geht vorneweg und gibt ein sehr entspanntes Tempo vor, auf das ich mich aber sehr gerne einlasse und mal weiter vorne und mal weiter hinter mitgehe.
Jede Stunde legen wir eine Trinkpause ein, und ehe ich mich versehe geht die Sonne über dem Horizont auf und wir haben schon die ersten 500 Höhenmeter hinter uns gebracht.
Mir geht es richtig gut. Peter, Andrea und Miriam zollen allerdings der Höhe Tribut und Markus entscheidet sich, die Drei ins base camp zurückzuschicken.
Der Rest macht sich weiter auf in Richtung Gipfel und eine gute Stunde später stehen wir am sonnenbeschienenen Beginn des Gletschers. Jetzt heißt es umziehen und wir legen Steigeisen und Klettergut an.
Für mich ein absolutes „erstes Mal“ und wie das bei ersten Male so ist, bin ich ein wenig aufgeregt und verwechsle prompt links und rechts und lege die Steigeisen verkehr herum an, was Markus mit einem entspannten „do stimmt was net junger Mann“ kommentiert und das kurzerhand und in Nullkommanix zurecht rückt.
Wir bilden zwei Seilschaften und ich hänge von nun im wahrsten Sinne des Wortes sehr an Georg, Ellen und Markus. Markus geht natürlich voraus und meine alleralerersten Schritte auf Gletschereis fühlen sich sehr gut an. Die Sonne lässt das Eis glitzern und glänzen – einfach wunderschön.
Der Gipfel zeigt sich mit einem Mal noch weit über uns, und an dem steilen Hang, den es noch zu überwinden gilt, mühen sich schon zwei weitere Seilschaften ab. Wir haben bis dorthin aber noch ca. 30 Minuten Galgenfrist.
Der Gletscher wird steiler und steiler und dann noch steiler und so langsam wird mir ein wenig mulmig. Die Steigeisen geben mir aber richtig guten Halt und mit aller Kraft ramme ich diese bei jedem Schritt in das knirschende Eis unter mir.
Auf Grund unserer Nicht-Erfahrung am steilen Eishang lässt Markus Ellen von Lawang ans kurze Seil nehmen und kümmert sich von nun an nur noch im Georg und mich. Mir ist es recht, denn ich bin schon lange ganz raus aus meiner waagerechten Komfortzone und kann jede Hilfe gebrauchen. Denn jetzt wird es mit fast 60 Grad wirklich steil – zumindest für mich. Markus hingegen klettert forsch voraus und sichert Georg und mich. Froh ist, wer am Seil eines sehr erfahrenen Bergführer hängt.
Die letzten Meter des Hanges kraxele ich einfach auf allen Vieren nach oben, versuche nicht daran zu denken, wo ich mich gerade befinde und stell mit vor, dass ich einfach einen glattpolierten und vor allem waagrechten Boden entlangkrabbele.
Doch dann bin ich oben, und hole erstmals ganz ganz tief Luft. Zum Gipfel geht es aber noch über einen gut 100 Meter lange nur ein wenig flacheren Grat, an dem uns Markus wieder Seillänge um Seillänge nach oben führt. Und sogar Zeit hat, uns in echter Siegerpose abzulichten.
Der Grat ist einen guten halben Meter breit und im Grunde problemlos zu begehen. Die Breite des Grates folgt aber unter Bergsteigern den gleichen Gesetzen wie die Größe des geangelten Fisches unter Anglern: je öfter man davon erzählt, wird der Grat schmäler und schmäler und wenn ich es mir recht überlege, war der Grat keine 10 Zentimeter breit und wir sind sind mutig darüber balanciert.
Mit ganz viel Puste, ordentlich Nervenkitzel, Herzklopfen und einer guten Portion „einfach machen“ stehe ich dann kurz nach 10 Uhr tatsächlich auf dem Gipfel des Island Peak auf 6189 Meter. Der Wahnsinn!
Der Gipfel hat allenfalls die Größe von meinem Badezimmer und wenn ich mir vorstelle, dass sich darin ca. 20 Leute versammeln, kann man sich vorstellen, wie eng es nun zugeht „ganz oben“.
Aber was soll´s: traumhaft trifft es vielleicht am Besten. Absolut windstill, strahlende Sonne, tiefblauer Himmel und um uns herum wieder einmal die ganze Himalaya-Pracht: Auf der einen Seite erhebt sich die riesige Lhotse Südwand noch weitere fast unglaubliche 2,5 Kilometer in den Himmel. Auf der anderen Seite schweift der Blick vom Makalu im Osten, über den Baruntse bis zur Nordseite der Ama Dablam… Und wir mitten drin. Und voll dabei.
Ich mache Gipfel-Selfies mit allen, eine Videobotschaft für zuhause und dann genieße ich nur! Ich habe es doch tatsächlich geschafft und stehe wie gesagt auf 6189 Meter. Genial! Wunderbar! Und ich bin stolz wie Harry.
Habe ich schon erwähnt, dass ich auf 6189 Meter stehe?
Doch wer rauf will, muss irgendwann auch wieder runter. Und die nächsten Stunden werden ein ganz langer und am Ende auch schmerzhafter Marsch zurück ins base camp und dann weiter zu unserer Lodge in Chukung.
Zuerst aber lassen wir uns am gut 150 Meter langen Fixseil abseilen. Vorbei an einer Gletscherspalte, die sich Ellen gerne genauer anschauen würde. Ich sage aber nur schnell „Hallo“ und lass mich zügig am Seil hinunter gleiten.
Den Hund, den wir wundersamer Weise am Gipfel angetroffen habe, und der offensichtlich wohl irgendwie rauf gekommen ist, nun aber nicht weiß, wie er wieder runter kommt, wird von Georg kurzerhand Huckepacke genommen und begleitet uns noch über den Gletscher, bis er sich ohne großes Aufsehen von uns verabschiedet.
Am Ende des Gletschers packen wir Steigeisen und Klettergurt wieder in unsere Rucksäcke. Ich habe aber große Lust, mal wieder über einen Gletscher zu wandern.
Ich befestige eine Gebetsfahne für mich und als Dankeschön an den Wandergott, dass alles gut gegangen ist und ich all das erleben darf.
Die 5 Farben der Gebetsfahnen symbolisieren übrigens für alle, die es gerne besser wissen wollen, die 5 Elemente:
- Blau – Himmel
- Weiß – Wasser
- Rot – Feuer
- Grün – Luft
- Gelb – Erde
Ich lasse mich mit Ellen und Markus ans Ende unserer Truppe fallen und habe trotzdem Mühe den Beiden zu folgen. Erst jetzt sehen wir, wie steil und ausgesetzt der Weg ist, den wir in der Nacht aufgestiegen sind, und ich bin froh, dass ich das heute Nacht im doch recht bescheidenen Stirnlampenschein gar nicht richtig wahrgenommen habe.
Doch auch jetzt geht es nur um den nächsten Schritt und den mache ich zwar immer langsamer aber auch kontinuierlich, und so komme ich als glücklicher Letzter fast pünktlich zur Mittagszeit im base camp an, wo wir uns alle erschöpft aber sehr stolz umarmen und von den früher Zurückgekehrten in Empfang genommen werden, die in der Zwischenzeit offensichtlich auch sehr fleißig waren, denn fast alle Zelten liegen schon verpackt zum Abtransport bereit..
Naran hat in seinem doch sehr provisorischen Kochzelt eine wunderbare veg noodle soup gezaubert, die ich gierig verschlinge und mir zumindest ein wenig neue Energie einhaucht.
Ich lasse ein laut-krachendes Zicke-Zacke-Zicke-Zacke-Hoi-Hoi-Hoi auf Markus erklingen und die Träger liegen lachend am Boden, als sie uns müden Bergkrieger so schreien hören.
Doch die letzte Etappe des Tages fehlt noch, und so machen wir uns bald wieder auf in Richtung Chukung und ehe ich mich versehe bin ich wieder einer der Letzten, die sich nach Hause schleppen. Den Weg, den wir am Vortrag noch entspannt in drei Stunden spaziert sind, kommt mir nun mindestens doppelt so lange vor, und ein ums andere Mal bin ich kurz davor in einen Ermüdungssitzstreik zu treten.
Die letzte halbe Stunde kann ich mich durch ein Gespräch mit einem netten amerikanischen Wanderer ablenken, der die gleiche Tour wie wir nur umgekehrt angehen möchte. Ganz alleine und mit minimalen Gepäck, wie er mir versichert. Davor habe ich großen Respekt und Englisch schwatzend laufen wir kurz nach 4 Uhr am Nachmittag ins Ziel sprich in den dining room unserer Lodge ein.
Geschafft! Fix und fertig! Saumässig stolz! Erfüllt von einem wahnsinnig intensiven Gipfelerlebnis. Und hungrig und durstig.
Die Coke ist schnell bestellt und die coconout cookies schmecken ganz wunderbar. Die Warteschlange vor der hot shower hält sich in Grenzen und als ich keine Stunde später frisch geduscht zum Abendessen komme, bin ich schon wieder zu Späßen aufgelegt.
Zusammen mit Peter stoße ich mit dem ersten Bier seit Wochen auf den Gipfelerfolg an und bei veg fried pasta with tomato gibt es an diesem Abend viel zu erzählen.
Nach den schon traditionellen UNO-Runden falle ich gegen halb 10 todmüde aber glücklich und zufrieden in mein Schlafsackbettchen und verschlafe tief und fest dieses Mal sogar die nächtliche Pinkelpause.
Danke für diesen Tag, den ich mit Sicherheit nicht mehr vergessen werde!