Von der Arbeit mit Polaritäten

Andreas Bourani hat neben all den Gedanken, die er „nur in seinem Kopf hat“, noch mehr interessante Texte wie ich finde. Besonders  angesprochen haben mich beispielsweise die folgenden Zeilen aus So Leicht So Schwer.

Ich bin gut, bin viel zu böse.
Ich fühl mich groß, Ich fühl mich klein.
Ich bin ein Sieger, ein Verlierer.
Bin gern bei euch und gern allein.
Ich bin die Ruhe, die Ekstase
Ich bin hart und viel zu weich.
Ich bin so gierig und bescheiden.

In der Arbeit mit Klienten und Coachees ist genau dieses UND oft ein grosses Thema. Wer will schon böse sein und nicht gut? Wer ein Verlierer und kein Sieger? Wer fühlt sich schon gerne klein und nicht immer gross? Wer ist schon gerne gierig und nicht immer bescheiden?

Aber das eine geht wohl nur mit dem anderen aus meiner Sicht. Der eine Pol exisitert nur mit dem anderen Pol. Und wir sind sicherlich wirklich nur dann wir selbst, wenn wir diese Polaritäten zulassen, anerkennen und integrieren.

Es ist so leicht, so schwer.
Ich Pendel zwischen beiden
Seiten hin und her.

Dieses Hin- und Herpendeln kann in der Tat eine sehr intensive und lehrreiche Erfahrung sein. Und im besten Gestalt-Sinne würde ich dem Klienten oder Coachee vielleicht anbieten, sich (abwechselnd) auf 2 Stühle zu setzen, die jeweils den einen und den anderen Pol repräsentieren.

Auf dem einen Stuhl bin ich „böse“, auf dem anderen „gut“. Auf dem einen bin ich „stark“, auf dem anderen darf ich „schwach“ sein. Auf dem einen bin ich gerne in Gesellschaft, auf dem anderen geniesse ich das Alleinsein.

Und vielleicht entsteht ein Dialog zwischen den beiden Stühlen, zwischen den zwei Polaritäten?

Was will ich meinem „schwachen“ Ich sagen, dass mir gegenübersitzt, wenn ich auf dem „starken“ Stuhl sitze? Wie geht es meinem „bösen“ Gegenüber, wenn ich auf dem „guten Stuhl“ sitze? Was möchte gesagt werden zwischen meinen Polaritäten? Welche Seite verlangt mehr Aufmerksamkeit oder möchte einfach nur akzeptiert werden? Welche Seite möchte genau dies nicht und fühlt sich „als etwas Besseres“?

Was braucht es, damit ich die beiden Polaritäten wirklich integrieren kann?

Denn der Preis für sich „bekämpfende“ Polaritäten kann hoch sein: wer nur „gut“ sein möchte, kann vielleicht nicht für seine Grenzen einstehen und nur schwer „Nein“ sagen. Wer sich das Alleinsein nicht gönnt, ist vielleicht auch nie richtig anwesend in Gesellschaft. Wer nicht „weich“ sein darf, legt sich vielleicht einen allzuharten Panzer zu, der am Ende keine Gefühle mehr zulässt.

Ich bin ich und ich verlier mich.
Ich bin mutig und so Feig.
und ich versteh dich und versteh´s nicht
Ich hab Geduld und keine Zeit

Ich bin ein Fels und komm ins wanken.
Ich sag die Wahrheit und ich lüge.
Ich bin zu leer und voll gedanken
Bin voller Hass und voller Liebe.

Die Arbeit mit Polaritäten kann sehr hilfreich und befreiend sein.

Und wie so oft beginnt diese Arbeit meist ganz unkompliziert im Hier und Jetzt. Mit neugierigem und wohlwollendem Beobachten von dem was sich zeigt. Wenn ich mich mit meinem Polaritäten befasse und mich darauf einlasse, dass der eine Pol nur mit dem anderen Pol exisitieren kann.

In diesem Sinne steht für mich Gestalt sicher auch für UND. Denn ich bin eben das eine UND das andere.

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