Aus 2 macht 1

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Ich rede ja selbst auch gerne vom Verlassen der uns allen lieb gewonnenen Komfortzone. Dann passiert was, dann wird Veränderung möglich, dann lernt man und entwickelt sich weiter. Schön gesagt und wohl war – und trotzdem eine echte Herausforderung, wenn man es dann tatsächlich tut.

Denn diese Reise bringt mich mehr und mehr raus aus eben meiner Komfortzone und wird gerade dadurch echte Herausforderung und umso intensivere (Lern-) Erfahrung.

Nach dem gestrigen Gipfeltag, der uns schon mit ganz viel Sonne und traumhaften Aussichten verwöhnte, kann es heute nur „schlechter“ werden, oder? Weit gefehlt, die Sonne strahlt mindestens so schön wie am Vortrag und die schneeweißen Berge um uns herum liefern so beleuchtet einmal mehr eine phänomenale Show.

Frühstück war wie weiter oben schon erwähnt um 6 Uhr in der Früh, ich habe aber gut geschlafen und in der Tat süß geträumt: einigen Blödsinn, durchaus Erotisches und andere Verrücktheiten, an die ich mich nach dem Aufwachen wie gewohnt kaum noch erinnern kann.

Und auch das Pinkeln in der Nacht ist mittlerweile eine Routine, die mich nicht weiter stört und ich halbschlafend hinter mich bringe. Denn einerseits muss das bei den all Litern von mint tea oder orang tea , die ich jeden Tag in mich schütte, einfach sein, und andererseits ist das auch immer wieder ein klitzekleines Abenteuer, das meist einer sehr ähnlichen Dramaturgie folgt:

  1. Ich muss mal!
  2. Ich ignoriere das konsequent und schlafe weiter.
  3. Ich muss mal! Dringend!
  4. Ich denke fünf Minuten drüber nach, ob es wirklich sein muss.
  5. Ich muss mal! Ganz dringend!
  6. Ok, dann los. Ich schäle mich aus meinem Schlafsack, bewaffne mich mit meiner Stirnlampe und mache mich auf zur Toilette. Die im besten Fall direkt neben unserem Zimmer zu finden ist, im schlechtestes Fall aber in der unteren Etage oder sogar draußen
  7. Endlich darf ich.
  8. Und jetzt nix wie zurück ins Schlafsackbettchen und weiter schlafen.

Meist nur fünf Minuten in der Kälte, die sich aber immer sehr gut anfühlen, spätestens dann, wenn ich zurück in der Schlafsack-Wärme bin.

Erstes Ziel des heutigen Tages ist der Cho La Pass auf 5420 Meter, und wieder einmal geht es steil und steiler über „Blocklandschaft“, wie Markus zu sagen pflegt. Ich sag einfach „Stock und Stein“ dazu und muss den Vormittag über ganz schön schwitzen. Mein Herz pumpt wie wild und da gönne ich mir etliche Verschnaufpausen, die dann aber auch Gelegenheit geben, die wunderschöne Natur um mich herum zu genießen. Denn das vergisst man ab und an fast schon: denn einerseits gewöhnt man sich doch recht schnell auch an die schönsten Aussichten und andererseits hat man – also ich – bei all der Anstrengungen dafür auch nicht immer den nötigen Blick und die entsprechende Muße.

Also lege ich gerne meine Pausen ein, atme tief durch, klopf mir symbolisch auf die Schultern und lasse meinen Blick über all das Schöne um mich herum schweifen.

Kurz nach 10 Uhr stelle ich mich auf dem Pass zusammen mit allen anderen wieder einmal zum Mannschaftsfoto und freue mich darüber, die nächste Herausforderung geschafft zu haben. Doch dieses Mal bleibt uns nur kurz Zeit zum Verschnaufen, denn schon bald ruft Pradap mit seinem typischen „Yallah, Yallaa“ zum Aufbruch.

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Warum er das auf Arabisch tut, bleibt mir die gesamte Reise ein Rätsel, ich gehorche aber widerstandslos, werfe mir meinem Rucksack über und mach mich auf den Weg abwärts.

Wieder gut unterstützt durch meine Stöcke geht es über den Gletscher, der gut 20 Zentimeter Neuschnee trägt, die mich aber nicht weiter stören sondern das Gehen eher angenehmer machen. Bald schon sind wir wieder in grüneren Gefilden und fast pünktlich um die Mittagszeit erreichen wir Dzonglha, eine Ansammlung von wenigen Lodges, in der wir uns stärken wollen.

Natürlich mit einer veg noodle soup, die zwar auf sich warten lässt, dann aber umso besser schmeckt. Und einer Coke und einem Snickers, denn das habe ich mir verdient. Ich schließe mich den meisten anderen an und nicke zum power nap weg, den Pradap wieder einem auf Arabisch aber nach wenigen Minuten beendet und zum Aufbruch ruft.

Denn wir wollen heute noch eine zweite Tagesetappe bewältigen, um so an einem der folgenden Tage auch das Everest Base Camp besuchen zu können, das eigentlich nicht auf dem Programm gestanden wäre. Aber natürlich „ein Muss“ darstellt für alle ambitionierten Himalaya-Erstürmer.

Ich bin allerdings schon ziemlich geschafft, und daher freue ich mich umso mehr, mit Markus ins Gespräch zu kommen und mich dadurch ein wenig von den schmerzenden Beinen abzulenken. Wir reden über seine Everest-Pläne für die nächsten Jahre, Teamwork beim Bergsteigen, der Frage, was Manager beim Bergsteigen lernen können und über die mentale Seite beim Bergsteigen. Über den flow, der sich einstellt, wenn Markus meist alleine einer seiner Schnellbesteigungen macht und sich in Momenten totaler Konzentration quasi selbst dabei beobachten kann.

Passend dazu zeigt sich die Ama Dablam rechts von uns immer wieder mal mehr, mal weniger in Nebel eingehüllt von ihrer beste Seite und ich habe größten Respekt vor Markus, dass er diesen Gipfel alleine und wohl in Weltrekordzeit bestiegen hat.

Die letzte Stunde laufe ich zusammen mit Miriam und Pradap am Ende der Gruppe, wir sind aber alle viel zu müde, um das Feld noch einmal von hinten aufzurollen. Am späten Nachmittag stehen wir dann aber stolz und zufrieden vor unserer Lodge in Lobuche. Die Tagesbewölkung löst sich fast zur gleichen Zeit auf und umrahmt von Pumori und Nuptse konnten wir einen eigentlich unbeschreiblichen Sonnenuntergang auf rund 5000 Meter Seehöhe genießen. Das sind dann die Anstrengungen des Tages fast schon wieder vergessen.

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Morgen dürfen wir wieder länger schlafen! Mehr als verdient denke ich mir. Denn meine Beine sind nach den Anstrengungen der letzten Tage schwer und den Schweiß der vielen Höhenmeter steckt mir im wahren Sinne des Wortes unverkennbar in den Kleidern.

Die körperlichen Anstrengungen tun mir aber gut, mein Kopf lehrt sich immer mehr und mein Gedankenkreisel dreht sich immer langsamer.

Am Abend lass ich über das weltweite Netz in der Heimat von mir hören, und ich freue mich, dass ich vermisst werde. Wird schön wieder Zuhause bei meinem Lieben zu sein, bis dahin aber genieße ich Nepal und den Everest-Höhenweg: obwohl und gerade weil er mich raus aus meiner Komfortzone bringt.

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