Johannes Meyer unterstützt neben der Konzeption und Moderation offener Methodentrainings, Organisationen in kompakten Formaten dabei, Design Thinking auf eigene Innovations-fragestellungen anzuwenden. In zahlreichen Projekten hat er Teams aus verschiedenen Industrien bei der kreativen Entwicklung von Produkten, Services, Marken und Prozessen begleitet.
Er war als Lehrer in Sri Lanka und studierte in Potsdam und Atlanta Kulturwissenschaften, Medien und Betriebswirtschaft. Nach dem Zusatzstudium an der D-School wurde er Design Thinking Consultant bei SAP und arbeitete an Innovationen für Rechnungswesen, Handel und Banken. Neben seiner Arbeit ist er Sänger der Berliner Rockband DOWN TO NINE, begeisterter Koch und Rucksackreisender.
Jochen: Hallo Johannes, toll, dass Du Dir Zeit für ein Interview nimmst. Ich kenne Dich ja vor allem von der „Workshop-Bühne“ als wunderbaren Moderator von Design Thinking Workshops – was hält denn der Rocker in Dir von Deiner „Bühneshow“ bei Workshops?
Johannes: Vielleicht überrascht das, aber zwischen Workshops und einem Auftritt mit einer Rockband gibt es unglaublich viele Parallelen: Es geht darum Menschen mitzureißen, einen „Flow“ entstehen zu lassen – dabei sich selbst als Person treu zu bleiben und im Team zu funktionieren. Dabei findet jeder seine goldene Mischung aus akribischer Vorbereitung und Improvisation.
Jochen: Und wie würde das klingen, wenn der Design-Thinker bei der Band zum Mikrophon greifen würde?
Johannes: Tatsächlich ist eine Band aus meiner Sicht auch nichts anderes als ein komplexes Designteam. Eine Gruppe von Menschen mit verschiedenen Stärken, Schwächen und Perspektiven versucht in einem gemeinsamen kreativen Prozess etwas zu schaffen, das vorher noch nicht da war. Dabei kommen meiner Meinung nach viele Design-Thinking-Prinzipien zum Tragen.
Jochen: Das interessiert mich nun. Hast Du da Beispiele dafür?
Johannes: Auch in der Musik gibt es so etwas wie qualitative Designforschung – also Gelesenes, Gehörtes, neu Kombiniertes, das einen inspiriert. Nichts kommt von nichts. Dabei darf man sich nicht auf das beschränken was Hörer sich wünschen, denn dann kopiert man letztendlich nur Dinge, die es schon gibt.
Und dann: Auch musikalische Ideen müssen durch Machen bzw. Spielen und Ausprobieren weiterentwickelt werden. Je mehr man nur redet, desto ermüdender wird es, da bei vier verschiedenen Instrumenten sowieso jeder eine andere Sprache spricht und man sich ständig missversteht. Das gleiche kennt man aus Meetings, in denen allein durch diskutieren komplexe Innovationsfragestellungen gelöst werden sollen. Egal ob im Proberaum oder im Innovationsprojekt – man beschäftigt sich mit Dingen, die noch nicht da sind. Ohne ausprobieren, zeigen, anschaulich machen geht es einfach nicht.
Jochen: Ein Instrument spielt sich eben auch nicht von alleine. Welche Übereinstimmung siehst Du noch?
Johannes: Kreative Arbeit in einer schreibenden Band braucht aus meiner Sicht eine Menge Disziplin. Jemand muss den Prozess moderieren, Entscheidungen erzwingen, der Schlagzeuger muss auch mal still sein können (natürlich ein völlig zufällig gewähltes Beispiel). Diesen Bedarf an Struktur sehe ich auch in Innovationsprojekten.
Desweiteren werden unsere Rocksongs bei uns so wie Produkte und Services iterativ entwickelt: Von einem kleinen Fragment, das aufgenommen wird über viele Proberaumaufnahmen zum schicken Studio-Track. Wir haben auch schon Stücke auf der Bühne „geprototyped“, die noch nicht fertig waren, zu denen wir aber Feedback von unseren Fans brauchten.
Und schlussendlich: Das Ganze ist anstrengend, erfordert Geduld, Empathie und viel Zuhören. Wenn einem einzigen Teammitglied die Konzentration fehlt ,wird es für alle unproduktiv und man sollte lieber eine Pause machen.
Jochen: Viele Menschen verzweifeln meiner Meinung nach oft an dem Glauben, sich entscheiden zu müssen zwischen verschiedenen Vorlieben oder Dingen, die man gerne tut und auch gut kann. Du lebst das UND finde ich sehr gut und bist Design Thinker UND Musiker. Wie fühlt sich das UND an für Dich?
Johannes: Völlig gut natürlich – halt Rock n´ Roll den ganzen Tag. J
Jochen: Was ist denn dann Dein Tip für alle, die im „ENTWEDER – ODER“ feststecken?
Johannes: Vielleicht liegt eine mögliche Lösung darin, den gemeinsamen Kern von Liebhabereien und Projekt oder Job hauszuarbeiten? Was steckt wirklich dahinter, wenn du lieber ein Café hättest als ins Büro zu gehen? Ist es die alchemistische Kunst am Kaffee? Das Gastgeber sein? Oder das Gefühl einen „eigenen Laden“ zu haben? Vielleicht sind solche Dinge ja auch im Job vorhanden oder integrierbar und können als übergreifende Eigenschaft ausgelebt werden.
Jochen: Thema „kreativ sein“ – wir reden ja in unseren Workshops viel vom „kreativ sein“ und was es dafür braucht. Stimmt das so für Dich als Rockmusiker auch? Wie bist Du beim Musikmachen kreativ? Und kann sich der Design Thinker da noch was abgucken davon?
Johannes: Das ist eine wirklich spannende Frage.
Eine neue Idee entsteht in unserer Band meist aus einem Wechsel aus alleine zu Hause rumklimpern, im Proberaum gemeinsam probieren, dann wieder alleine Texte schreiben, gemeinsam probieren, bis am Ende einer den Deckel drauf macht und sagt: Aus all diesen Experimenten schlage ich diesen fertigen Song vor!
Jochen: Das heißt, ihr sitzt dafür nicht alle die ganze Zeit gemeinsam im Studio?
Johannes: Nein, absolut nicht. Dieser kreative Prozess hat interessanterweise eine ganze Menge eher kontemplative Rückzugsphasen. Ich glaube, dem könnten wir im Design Thinking oft noch mehr Raum geben.
Jochen: Vielleicht so, wie das in der Theory U gemacht wird? Spannende Übereinstimmung.
Johannes: Ja, zum Beispiel! Wenn wir Teamarbeit als Zusammenarbeits-Imperativ erzwingen, überfordern wir manche Menschen, die einfach auch ein stilles, zurückgezogenes Ambiente zum kreativ sein brauchen. Interessanterweise habe ich für mich erkannt: Auch wenn ich viel auf Bühnen stehe, sind meine Kreativ- und Erholungsphasen solche, in denen wenig passiert und ich allein bin. Letztens hat mir jemand gesagt, dass das dafür spricht, dass ich eigentlich ein introvertiert veranlagter Mensch bin. Wenn ich das Menschen in meinen Workshops oder bei Konzerten erzähle, lachen sie mich allerdings aus.
Jochen: Stimmt, das mag man Dir als „Rampensau“ so gar nicht zutrauen. Ich kenne das aber auch von mir! Letzte Frage: wann starten wir unser nächstes Buchprojekt und über was wollen wir schreiben?
Johannes: Als ich englische Linguistik studiert habe wollte ich ein Buch nur über das Wort FUCK schreiben, und träumte davon wie es, in roten Samt eingebunden und mit goldenen Lettern in Universitätsbibliotheken stehen würde. Das Projekt ist noch offen.
Davon abgesehen – wann sollte man ein Buch schreiben? Wenn man etwas zu sagen hat? Lass uns eins schreiben wenn wir glauben etwas verstanden zu haben.
Jochen: Darauf freue ich mich heute schon. Vielen Dank für Deine Zeit und weiterhin viel Spaß beim Rocken und Workshopen.
Photo von Boris Kownatzki von b.bildert.