Jochen: Vielen Dank, dass Du Dir Zeit für ein Interview nimmst. Wer war der Held Deiner Kindheit? Und warum?
Nina: Der Held, nein besser die Heldin meiner Kindheit ist Aschenputtel. Ich blättere oft in meinem wunderschönen Bilderbuch. Ein Bild, ganz grau und staubig, zeigte sie matt und erschöpft in der Küche, auf einem anderen erstrahlte sie in einem traumhaft glitzerndem Kleid und sie zog alle staunende Blicke auf sich. Ein krasser Unterschied, den ich liebte.
Wenn ich mir heute überlege, was mich an ihr beeindruckt hat, war es wohl ihr Wille und ihre Kreativität, sich von Gemeinheit, Bosheit und Elend nicht unterkriegen zu lassen. Sie hat immer wieder Ideen, findet Auswege und Lösungen in ihrem Dilemma, suchte Hilfe und wird am Ende mit der Liebe belohnt. Das ist doch schön.
Jochen: Ich kenne die Heldenreise aus meiner Ausbildung zum Gestalttherapeuten als sehr intensive Selbsterfahrung. Wie seid ihr auf die Idee gekommen die Heldenreise auf Innovationsprozesse bzw. Organisationsentwicklung anzuwenden?
Nina: Die „Heldenreise“, von der Du sprichst, benennt einen Seminartitel von Paul Rebillot. In seinem Konzept hat er das Grundmuster des sogenannten Monomythos in kongenialer Art für ein Seminar genutzt, was durch einen kreativen Selbsterfahrungsprozess zur Selbsterkenntnis führt. Den Monomythos wiederum hat Joseph Campbells in seinem Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ eingeführt.
Jochen: Was verbirgt sich denn hinter diesem Monomythos?
Nina: Also, da ich muss einen kleinen Umweg machen, um Deine Frage zu beantworten: Seit es Menschen gibt, gibt es Veränderung und die Überlieferung damit verbundener Erkenntnisse. In Mythen und Geschichten wurden Fakten, Erlebnisse und Gefühle zusammengefasst, die Menschen mit dem universellen Thema Veränderung erfahren hatten. Das Erstaunliche daran ist, dass sich in diesen Geschichten – aus allen Zeiten und Kulturen – ein typisches Grundmuster verbirgt, so wie auch die Natur mit dem Rhythmus der Jahreszeiten einer inneren Struktur folgt. Wir alle kennen diese Struktur „Aufbruch-Abenteuer-Rückkehr“ von Filmen und Geschichten, aber auch aus Medienberichten und dem eigenen Leben. Immer handelt es sich um eine oder mehrere Personen, die den risikoreichen Weg vom Vertrauten ins Ungewisse wagen.
Der Mythenforscher Joseph Campbell nun hat Erzählungen von Helden aus aller Welt analysiert und daraus die Essenz gefiltert, die er „Monomythos des Helden“ nannte. Diese Akteure – ob fiktiv oder real, ob Mann oder Frau, ob Kind oder Jugendlicher, ob heute oder gestern, ob viele oder einer…. gehen einen Weg, begeben sich auf eine abenteuerliche Reise, auf eine „Heldenreise“.
Jochen: Der Monomythos also als „Blaupause“ für Veränderungsprozesse. Das ist spannend. Und diese Blaupause verwendet ihr in Euer Arbeit mit Firmen und Organisationen?
Nina: Ja genau. Denn viele Unternehmen glauben immer noch, dass sie mit einem Mehr an Planung, Steuerung und Kontrolle ein Gegengewicht zur den schnelllebigen immer komplexeren Dynamiken schaffen. Doch damitwirklich neue Prozesse in Gang gesetzt werden, braucht es meiner Meinung nach viel mehr Kompetenzen im Umgang mit Ungewissheit, sprich: Mut, Kreativität, Verantwortung, Selbstbestimmtheit und Intuition. Wenn sich heute Menschen, Teams oder Unternehmen mit Change und Innovation „herumschlagen“, meistern sie aus meiner Sicht nichts anderes als „Heldenreisen“ – so wie unzählige Menschen vor ihnen.
Jochen: Und Eure Kunden lassen sich darauf ein?
Nina: In innovativen Unternehmen rennen wir da in der Tat offene Türen ein, andere sind dagegen eher in ihren Mustern und Handlungsgerüsten gefangen, sprechen viel von Erneuerung aber suchen Lösungen im „mehr von desselben“.
Unsere Ausgangsüberlegung war, dass uns das Erkennen dieses archetypischen Musters mit seiner in Metaphern verpackten inneren Weisheit hilft, die verschiedenen Ebenen von Erneuerung zu durchdringen und gestalten zu lernen. In unserem Verstehen geht es gerade darum, auch in schwierigen ungewissen Situationen handlungsfähig und kreativ zu sein. Dazu müssen Menschen ihre schöpferische und intuitive Seite herausbilden bzw. dieses Potenzial wieder entdecken. Das braucht andere Werte, eine andere Führungskultur, mehr Vertrauen in und Fähigkeiten von Menschen, das Zulassen von Emotionalität und Intuition.
Jochen: Das ist dann Euer Heldenprinzip, oder?
Nina: Das Heldenprinzip® macht den kollektiven Erfahrungsschatz der Menschheit für heute zugänglich. HELD bezeichnet die Akteure der Veränderung und PRINZIP steht für seine universelle Schrittfolge. Seine Struktur schafft einen Orientierungs- und Handlungsrahmen, um inneren und äußere Prozessdynamiken erfolgreich zu gestalten, deshalb nennen wir es „Kompass für Innovation und Wandel“. Vielfältigen Methoden aus Kunst, Systemik, Gestaltarbeit und Management helfen dass die Akteure (Helden und Heldinnen des Veränderungsprozesses) schöpferische Potenziale entfalten, um Krisen, Aufbrüche und Umbrüchen zu meistern.
Jochen: Beschreib doch bitte die Schritte eures Heldenprinzip®?
Nina: Der Veränderungsprozess, wie ihn das Heldenprinzip® zeigt, findet auf zwei grundsätzlich verschiedenen Ebenen statt: – die gekannte Welt (gewohnten Muster und Routinen) und die unbekannte Welt (fremdes Terrain und der ungewohnte Herausforderungen). Diese beiden Welten sind durch eine Schwelle getrennt.
Das Geschehen kann man in drei Akte unterscheiden, die sich in ihren Aufgaben und Dynamiken voeneinander unterscheiden:
1. Akt: Aufbruch:Der Held (Mensch / Team / Organisation) erhält von innen oder außen einen Ruf, sich von der alten Welt, ihren Mustern und Strukturen zu lösen, um sich für seine Bestimmung ins Ungewisse zu wagen. Eine Not oder eine Vision fordern heraus. Im Fokus steht: Die Entwicklung der Bereitschaft, sich zu lösen, um etwas noch vage Zukünftiges zu erringen.
2. Akt: Abenteuer
Der Held (Mensch / Team / Organisation) bewältigt herausfordernde Bewährungen, bei denen im Voraus nicht klar sein kann, worin sie bestehen. Im Fokus steht hier: Die Öffnung für eine schöpferische Auseinandersetzung in widersprüchlichen Bewährungsproben sowie der Erwerb neuer Denk- und Handlungsmuster.
3. Akt: Rückkehr
Der Held (Mensch / Team / Organisation) wappnet sich, die unbekannte Welt wieder zu verlassen, um die Errungenschaften in der alten Welt, zu entfalten. Im Fokus stehen: Das Auslösen von Wirkung, Implementieren und Verstetigen der erworbenen Kompetenzen.
Jochen: Hast Du konkrete Beispiele, wie das dann in Projekten mit Kunden aussehen kann?
Nina: Der erste Unterschied liegt natürlich darin, ob wir einen personalen oder einen organisationale Prozess analysieren, begleiten oder reflektieren. Zweifelsohne ist ein Veränderungsprozess, in den viele Menschen oder sogar Organisationseinheiten involviert sind, schwieriger zu handhaben. Denn die unterschiedlichen Beteiligten sind nicht alle unbedingt an der gleichen Stelle im Prozess. Haben alle den Ruf gehört? Ist er bereits ein gemeinsam geteiltes Anliegen? Sind vielleicht einige schon bereit für den Schwellenübergang ins unbekannte Land, wohingegen andere aber noch tief in der Weigerung stecken?
Ist die Organisationskultur so weit, dass sie die Beteiligen ermutigt, Neues zu erproben; zu üben, auch Fehler machen zu dürfen? Wie geht man mit großen Herausforderungen oder gar teilweisen Niederlagen um? Wie wird nach den großen Prüfungen im Alltag tatsächlich die Erneuerung verankert? Wie bewusst wird eine Ruhe-und Erholungsphase eingeräumt, um das Unternehmen nicht an den Rand des burn outs zu führen.
Beobachtungen und Wahrnehmungen stehen am Beginn, damit passende Begleitsequenzen gefunden werden, die Jeden wertschätzen. Auf dem Weg soll möglichst niemand „verloren“ gehen. Veränderungsprozesse sind nicht über das Knie zu brechen und nicht von der Stange zu haben. Jeder Prozess muss mit Sensibilität und Kraft gestaltet werden.
Wir bieten u.a. Jahreszyklen für Führungskräfte von Unternehmen an, in dem diese in einer co-kreativen Gemeinschaft lernen, den Weg der Organisation neu zu überdenken, zu spüren und anders zu lenken.
Es gibt viele Ideen für Formate für das Heldenprinzip® in Organisations – und Personalentwicklung: Workshops, Coaching, Labore, Retreats; denn die Fähigkeit schöpferisch mit Veränderung umzugehen, brauchen wir in vielfältigsten Facetten.
Jochen: Welche Pläne hast Du für die Zukunft? Wie geht es weiter mit dem Heldenprinzip?
Nina: Mein ganz persönlicher Ruf ist es, mit dem Heldenprinzip® und schöpferischen Arbeitsmethoden meinen kleinen Beitrag für das Gelingen des Wandels zu leisten.
Das Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip“ (2009-2013), eine Kooperation der Universität der Künste und der Hochschule für Technik und Wirtschaft, ging Ende 2013 zu Ende. Seither werden die Ergebnisse und Erfahrungen in der Praxis der Personal- und Organisationsentwicklung von Deutschland, Österreich und in der Schweiz etabliert; über interaktive Vorträge und konkrete Angebote für Einzelpersonen, Teams und Unternehmen.
Um die Verbreitung, aber auch die Qualität der Arbeit zu sichern, bieten wir an der Universität der Künste| Berlin Career College eine Weiterbildung mit Hochschulzertifikat an. Hier bieten wir Experten, die professionell in Innovations- und Veränderungsprozessen tätig sind, (Trainer, Berater und Change Begleiter) eine „schöpferische Gebrauchsanleitung“ für den kunstvollen Umgang mit Veränderung an. In zwei Kurse a drei Modulen erweitern die Teilnehmenden ihr Know How um archetypische (mythologische), dramaturgische, künstlerische und psychologische Dimensionen der Veränderung. Sie erhalten damit außergewöhnliche Impulse für Diagnose, Begleitung und Reflexion von Veränderungsprozessen und methodische Inspiration für ihre berufliche Praxis. (www.innovation-heldenprinzip.de)
Jochen: Und zu guter Letzt: wie würden denn der Held Deiner Kindheit heutzutage mit dem Wunsch nach Innovation umgehen? Was kann eine Firma von ihm lernen?
Nina: Tja, welche Innovation könnte sich Aschenputtel wünschen?
Geht es um das Finden innovativer Produkte oder eine Maschine, mit der sie die Erbsen sortieren kann (denn die schönen Kleider machen es überhaupt erst möglich, dass sie Eintritt ins Schloss erhält und die Täubchen helfen ihr beim Erbsenauslesen)?
Ich glaube, dass es vielmehr um eine Haltung zum Leben geht: Nicht aufgeben – Freunde gewinnen, die helfen – kooperieren. Sie hält nicht fest an den ach so wichtigen Dingen (der goldene Schuh klebt an der Treppe fest, sie geht ohne ihn weiter. Sie bleibt trotz schlimmer Erfahrungen im Vertrauen, dass das Gute sich durchsetzen wird und das Gemeine, Habsüchtige und nur auf den eigenen Vorteil bedachte Handeln letztendlich den Kürzeren zieht. Selbst wenn die bösen Schwestern dem gierigen Rat der Mutter folgend sich die Füße verstümmeln lassen um als Königin in Geld und Reichtum zu schwelgen, wird ihr Verhalten ruchbar und bestraft.
Das könnte eine Firma von Aschenputtel lernen – nicht nur den eigenen Vorteil zu sehen, sondern das Wohl des Ganzen im Blick zu behalten.