Der Wunsch nach Veränderung

Ich würd ja wollen, wenn ich nur könnt

“Ich würd ja wollen, wenn ich nur könnt” oder um den unvergesslichen Karl Valentin zu zitieren „Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“

Wir alle haben diese Sätze so oder so ähnlich wohl schon als “Entschuldigung” meist uns selbst gegenüber gebraucht denke ich. Und sie enthalten meiner Meinung nach zwei wesentliche Aspekte, die auftauchen, sobald es um den Wunsch nach Veränderung und den Weg dorthin geht.

Einerseits der Wunsch nach Veränderung: „Ich würd ja wollen“ oder „Mögen hätt ich schon wollen“. Zwar im Konjunktiv formuliert, um den Wunsch vielleicht nicht zu drängend und konkret werden zu lassen. Aber doch mit der klaren Kenntnis darüber, was sich für mich ändern sollte, wenn ich mir „etwas wünschen“ dürfte.

Und zum anderen aber auch die Entschuldigung und Ausrede, denn „dürfen hab ich mich nicht getraut„ bzw. „wenn ich nur könnt“. Denn wie soll ich beispielsweise die gewünschte Veränderung erreichen, wenn ich letztendlich gar nicht dafür verantwortlich bin, wenn sie nicht in meiner Macht liegt? Wenn der Partner oder die Partnerin, der Arbeitgeber, die Gesellschaft, Gott oder das Schicksal selbst letztendlich für die Situation verantwortlich gemacht werden, die den Wunsch nach Veränderung erzeugt?

Der Gestaltweg hin zu Veränderung

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit während meiner Ausbildung zum Gestalttherapeuten am Gestalt-Zentrum Baden habe ich mich sehr intensiv mit eben diesem Wunsch nach Veränderung beschäftigt.

Woher kommt der Wunsch? Was lässt Menschen nach Veränderung streben? Warum fällt es oft so schwer sich auf Veränderung einzulassen, obwohl wir uns oft doch genau diese Veränderung so sehr wünschen? Bin ich denn verantwortlich für meine Veränderungsschritte? Habe ich überhaupt die Freiheit zu entscheiden, wohin ich mich verändern will?

Zumindest ein paar dieser Fragen habe ich im Rahmen meiner Abschlussarbeit aus gestalttherapeutischer Sicht beleuchtet und diskutiert.

Ich möchte in diesem und weiteren Artikeln nun einzelne Aspekte aus meiner Abschlussarbeit aufgreifen. Nicht nur aus gestalttherapeutischer Sicht sondern auch im Sinne einer Gestalthaltung, die für mich in Therapie, im Coaching und im alltäglichen Miteinander unverzichtbar geworden ist.

Beginnen möchte ich in diesem Artikel mit dem Wunsch nach Veränderung. In einem zweiten Artikel werde ich mich der Frage widmen, ob wir Menschen überhaupt die Freiheit haben uns zu verändern, und welche Verantwortung dies dann auch bedeuten kann für jeden Einzelnen. Im dritten Teil dieser Serie werde ich verschiedene mögliche Veränderungsprozesse beschreiben. Im letzten Artikel stelle ich mir dann die Frage, ob und wie ein Gestalttherapeut oder Coach seinen Klienten oder Coachee in seinem Streben nach Veränderung und Wachstum unterstützen kann.

Beginnen möchte ich nun wie schon angedeutet mit dem Wunsch nach Veränderung. Was bringt uns überhaupt dazu „sich verändern“ zu wollen?

Der Wunsch nach Veränderung

„Ein gesunder Mensch ist für mich jemand, der guten Kontakt zur Realität hat:  zu der großen und der kleinen Welt um ihn herum und in ihm selbst.“ – Bruno-Paul de Roeck

Fritz Perls, einer der Mitbegründer der Gestalttherapie,  hat es meiner Meinung nach auf den Punkt gebracht: „Der Wunsch nach Veränderung ist immer begründet in nicht befriedigten Bedürfnissen“.

Und obwohl (oder gerade weil) ich mich im Folgenden vor allem mit diesem Wunsch und einem möglichen Gestaltweg dorthin beschäftigen möchte, beginne ich mit dem im Gestalt-Sinne  „gesunden“ Menschen. Einem Menschen also, der – kurzum gesagt – seine Bedürfnisse wahrnimmt und sie verantwortungsvoll für sich und seine Umwelt befriedigt.

Der grüne Luftballon

Im Herbst 2010 wurde ich während meiner Annapurna-Umrundung in Nepal stiller Zeuge der folgenden Szene, die für mich ein sehr schönes Beispiel für einen „gesunden“ Menschen darstellt.

Während der mittäglichen Rast beobachte ich ein kleines Mädchen, vielleicht 3 oder 4 Jahre alt, das vor einer Hütte auf der anderen Seite der Straße in der Sonne sitzt. Ein Tourist hat ihr offensichtlich einen grünen Luftballon geschenkt und in dem Moment, in dem ich sie beobachte, ist das Mädchen voll und ganz damit beschäftigt, den Luftballon zu ziehen, zu dehnen und irgendwie Luft hineinzublasen. Mit weit aufgeblasenen Bäckchen, hochkonzentriert und ein wenig außer Atem bei all dem Luftballonaufblasen sitzt das Mädchen in der Sonne und hat scheinbar alles andere um sich herum vergessen.

All die Wanderer, die in dem kleinen Dorf Rast machen. Die Ziegen, die meckernd über die Straße springen. Das Geschrei der anderen Kinder, die das eine oder andere Bonbon von den müden Gästen ergattern wollen.  Nein, es gibt für sie in diesem Augenblick nur diesen grünen Luftballon.

Dann mit einem Male hält das Mädchen inne und schaut sich suchend nach der Mutter um, die in vielleicht 5 Meter Entfernung ebenfalls vor der Hütte sitzend mit dem Schneiden und Waschen von Gemüse beschäftigt ist. Das Mädchen springt auf, geht zu ihrer Mutter und drückt sich förmlich in ihre Arme. Die Mutter unterbricht bereitwillig ihre Arbeit und spricht und lacht mit dem Mädchen.

Nach wenigen Minuten und scheinbar genauso plötzlich wie zuvor löst sich das Mädchen wieder von ihrer Mutter, sucht sich einen neuen Platz am Brunnen und widmet sich wieder ausschließlich dem grünen Luftballon.
Doch keine 5 Minuten später verliert es erneut das Interesse daran und erblickt das Brüderchen, das gerade mit den kleinen Kätzchen spielt, die sich am Rand des Brunnen in der Sonne aalen. Das Mädchen packt den grünen Luftballon in ihre Tasche und geht zu ihrem Brüderchen und den Kätzchen.

Der Mensch als sich selbst regulierender Organismus

Nach Fritz Perls ist der Mensch, wie jedes andere lebendige Wesen ein sich selbst regulierender Organismus, der aus zahlreichen Organen und Funktionen besteht, die alle ihren eigenen Stellenwert als Teil des Ganzen haben.

Der Mensch als Organismus ist dabei im wahrsten Sinn des Wortes nicht „alleine auf der Welt“ und auch nicht auf Dauer alleine und autark überlebensfähig. Perls redet hierbei von einer „Umwelt“, die jeder Organismus braucht, um „wesentliche Stoffe auszutauschen“. Weniger abstrakt formuliert braucht der Mensch beispielsweise und bekanntermaßen Luft zum Atmen, Nahrung und Wasser. Er braucht aber auch ein soziales Umfeld und zwischenmenschliche Beziehungen. Er braucht den (non-) verbalen Austausch mit anderen und die Möglichkeit Gefühle (mit-) zu teilen, um nur ein paar „wesentliche Stoffe“ zu nennen, die der Organismus „Mensch“ mit seiner „Umwelt“ austauschen muss, um überleben zu können.

Ein gesunder Organismus ist daher im ständigen Austausch mit sich und seiner Umwelt um die Bedürfnisse zu befriedigen, die innerhalb des Organismus auftauchen. Es können dabei problemlos viele Bedürfnisse gleichzeitig existieren, im gesunden Organismus wird immer das in einem Augenblick „wichtigste“ Bedürfnis „zuoberst“ auftauchen und befriedigt werden. Das alles passiert „automatisch“ und stellt das gesunde Leben des Organismus sicher.

„Die organismische Selbstregulation“, so der Gestalttherapeut und Psychologe Gary M. Yontef, „ist ein Prozess, der sich ständig erneuert und auf Feedback und fortdauernd neuer ´kreativer Anpassung` beruht“. Oder wie der Gestalttherapeut Bruno-Paul de Roeck formuliert: „Der Organismus lässt immer wissen, was jetzt wichtig ist. Er äußert seine Vorlieben. Wenn wir offenstehen für das, was in uns geschieht, tut er es auf offene Weise. Wenn wir die Signale unterdrücken, oder zu zensieren versuchen, tut er es auf versteckte Art“.

Kontakt, Kontaktgrenze und Kontaktzyklus

Der dafür notwenige Austausch, der Kontakt, zwischen Organismus und seiner Umwelt findet an der Kontaktgrenze statt (oder nach Perls der „Ich-Grenze“). Die Haut ist bestes Beispiel für die Kontaktgrenze eines Organismus. Denn die Haut trennt den Menschen (den Organismus) einerseits ab von seiner Umwelt, verbindet ihn aber gleichzeitig auch mit ihr, indem der Mensch z.B. über seiner Haut den Wind oder Berührungen von anderen Menschen wahrnehmen und aufnehmen kann, oder – um es mit den Perls´schen Worten zu sagen – mit seiner Umwelt interagieren und in Austausch treten kann.

Der von Fritz Perls, Ralph Hefferline und Paul Goodman entwickelte Kontaktzyklus beschreibt darauf aufbauend, wie ein aufkommendes Bedürfnis, eine Situation oder eine Gestalt an der Kontaktgrenze idealtypisch befriedigt und damit abgeschlossen und integriert wird. Der Kontaktzyklus setzt sich hierbei im Wesentlichen aus vier Phasen zusammen (Vorkontakt, Kontaktnahme, Kontaktvollzug und Nachkontakt). Synonym dazu wird oft der Begriff der Kontaktkurve oder der Gestaltwelle verwendet, die meist eine etwas genauere Unterteilung des Kontaktzyklus´ beinhaltet.

Ich möchte an dieser Stelle nicht abstrakt auf die einzelne Phasen eingehen, sondern zurück zu meinem Beispiel vom Anfang dieses Kapitels kommen.

Zu Beginn ist das Mädchen sich selbst genug und voll und ganz mit dem grünen Luftballon beschäftigt. Irgendwann bemerkt sie aber eine stetig wachsende Unruhe (Vorkontakt) und danach ihren „Hunger“ auf das Kuscheln mit der Mutter (Kontakt mit dem eigenen Bedürfnis). Sie nimmt (Augen-) Kontakt mit ihrer Umwelt auf, die in diesem Fall vor allem aus ihrer Mutter besteht. (Kontakt mit der Umwelt). Das Mädchen steht auf und begibt sich zu ihrer Mutter und drängt sich in ihre Arme (Aggression). Dort verharrt sich ein paar Minuten und genießt das Geborgensein bei der Mutter (Assimilation und Integration). Danach steht sie wieder auf, begibt sich zu dem Brunnen und widmet sich wieder dem grünen Luftballon (Nachkontakt), bis ein neues Bedürfnis auftauchen wird, in unserem Fall, das Brüderchen und die kleinen Kätzchen, die sich in der Sonne aalen.

Der gesunde Mensch

Dieses Beispiel mag zugegebenermaßen sehr einfach sein, es zeigt aber meiner Meinung nach sehr gut, was es heißt, wenn ein Mensch ein sich ihm zeigendes Bedürfnis im Austausch mit seiner Umwelt befriedigt und integriert. Um sich danach dem nächsten Bedürfnis, der nächsten Situation, der nächsten Gestalt zu widmen. Und dadurch im Fluss des Lebens, des Augenblickes ist. Im Kontakt mit sich und seiner Umwelt.

Solange dies geschieht, ist der Mensch im gestalttherapeutischen Sinne gesund und wird kaum den Wunsch nach Veränderung spüren oder dafür gar Unterstützung bei einem Therapeuten suchen. „Ein völlig gesunder Mensch“, so Fritz Perls, „fühlt sich und die Wirklichkeit ganz und gar.“

Unbefriedigte Bedürfnisse. Unvollendete Gestalten

Doch was passiert, wenn der Kontaktzyklus nicht in seiner idealtypischen Weise ablaufen kann? Wenn es zu Kontaktstörungen kommt?

Wenn das Mädchen beispielsweise ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe mit ihrer Mutter zwar wahrnimmt, sich aber nicht traut, auf die Mutter zuzugehen, weil sie am Gesichtsausdruck der Mutter zu erkennen glaubt, dass diese gerade keine Zeit dafür hat. Oder weil die Mutter in ähnlichen Situationen zuvor abweisend reagiert hat. Oder wenn tatsächlich niemand da ist, und das Mädchen sich zwangsläufig selbst versorgen muss? Oder wenn das Mädchen zwar auf die Mutter zugeht, diese sich aber abwendet, weil sie gerade zu sehr mit der Zubereitung des Essens beschäftigt ist?

Die Konsequenz für das Mädchen ist in allen Fällen die gleiche: ihr Bedürfnis, ihr Wunsch nach körperlicher Nähe, nach Geborgenheit, wird nicht in dem Maße befriedigt, wie sie es in diesem Augenblick gebraucht hätte. Es bleibt ein unbefriedigtes Bedürfnis, eine im gestalttherapeutischen Sinne ungeschlossene Gestalt zurück. Die in unserem Beispiel natürlich nicht zwangsweise zu einem „echten“ und nachhaltigen Problem für das Mädchen werden muss. Nichtsdestotrotz aber im Organismus des Mädchen „stecken“ bleibt, und ähnlich wie ein unverdautes Essen „schwer im Magen“ liegen kann.

Wir Neurotiker

Wir haben alle hunderte, wenn nicht tausende solcher ungeschlossenen Gestalten in uns. Das ist so, und grundsätzlich auch kein Grund zur Besorgnis. Und dennoch können sie uns daran hindern, ein Bedürfnis, dass sich jetzt gerade, in diesem Augenblick zeigt, in einer für uns in diesem Augenblick angemessen Art und Weise befriedigen zu können. Weil die ungeschlossenen Gestalten „nachwirken“ und uns von einem gegenwärtigen Erleben abhalten.

Indem wir unser Bedürfnis im Extremfall beispielsweise gar nicht mehr wahrnehmen, weil wir vielleicht zu oft erlebt haben, dass wir es im Kontakt mit der Umwelt nicht in einer für uns befriedigenden Art und Weise auflösen können. Oder indem wir Tricks und Kniffe entwickeln, uns Rollen aneignen oder Spielchen spielen, um von unserer Umwelt das zu bekommen, war wir eigentlich benötigen, es aber nicht eigenverantwortlich befriedigen können oder wollen.

Für Fritz Perls sind wir dann Neurotiker: „Ich nenne jeden Menschen neurotisch, der seine Kraft darauf verwendet, andere zu manipulieren und sich weigert, selbst zu wachsen“.

Konsequenzen

Das kleine Mädchen, dass ihr Bedürfnis nach körperlichen Nähe und Geborgenheit mit der Mutter oder ihrem (familiären) Umfeld nie oder viel zu selten gemäß der obigen Gestaltwelle befriedigen konnte, kann unter Umständen auch als erwachsene Frau Probleme haben, dieses Bedürfnis in einer Beziehung oder Freundschaft zu zeigen und auf eine für sie gute Art und Weise zu befriedigen.

Weil sie als Kind vielleicht gelernt hat, genau dieses Bedürfnis zu verdrängen. Gelernt hat, sich in diesem Punkt lieber selbst zu versorgen, anstelle das im Kontakt mit ihrer Umwelt und anderen Menschen zu tun. Gelernt hat ohne Nähe und Geborgenheit auszukommen. Und als erwachsene Frau dann vielleicht zurückhaltend, introvertiert, „verkopft“ oder emotionslos auf andere wirkt. Und sich selbst wohl so einschätzt.

Oder weil sie als Kind gelernt hat, dass ihr Bedürfnis nur dann von der Mutter oder ihrem (familiären) Umfeld gestillt wird, wenn sie brav und fleißig war. Oder sich besonders hübsch gemacht hat. Oder anderweitig „Leistung“ erbracht hat dafür. Und als erwachsene Frau dann vielleicht von einem nie zu erfüllenden Leistungsanspruch sich selbst gegenüber getrieben ist.

Der Wunsch nach Veränderung

An diesem Punkt sind wir wieder am Beginn des Kapitels angekommen. Bei dem Wunsch nach Veränderung auf Grund unbefriedigter Bedürfnisse.

Und dieser Wunsch lässt die Frau vielleicht zu guter Letzt an der Tür eines Gestalttherapeuten klingeln. Weil sie „unzufrieden“ mit sich ist. Weil sie eben nicht mehr introvertiert und emotionslos sein möchte. Weil sie spürt, dass ihr eigener Leistungsanspruch sie früher oder später in den Burn-Out treiben wird oder sie schon genau dort ist. Weil sie wegkommen möchte von den Rollen und Spielchen, auf die sie keine Lust mehr hat, aber dennoch immer weiter spielt.

Diesen Artikel als PDF zum Download gibt es hier.

Was motiviert mich?

Wer kennt sie unter den Fussballfans nicht. Die grossen Motivatoren an der Seitenlinie. Die Trainer, die mit meist viel Engagement, höchster Anspannung und jeder Menge Emotion versuchen, ihre Spieler vom Spielfeldrand (und wenn sein muss auch von der Tribüne) aus zu steuern, nach Vorne zu treiben, auf Fehler hinzuweisen, zu motivieren.

Und natürlich gab und gibt es dabei die unterschiedlichsten Motivations-Methoden. Ein Christoph Daum ließ über glühende Kohlen laufen, ein Felix Magath bedient sich im Zweifelsfall den guten alten Medizinbällen.

Jürgen Klopp ist einen ganz anderen Weg gegangen, als er als Trainer vom FSV Mainz 05 zum ersten Mal die Reiss Profile eingesetzt hat. Zuerst im „Selbsttest“ bei sich, dann aber für die ganze Mannschaft.

Die Frage, die ihn dabei im wahrsten Sinne des Wortes „motiviert“ hat, war die Frage, wie er jeden einzelnen Spieler (noch) besser ansprechen und motivieren kann. Die Frage, was jeder einzelne Spieler braucht um „seine Leistung“ abzurufen. Und die Erkenntnisse, die Jürgen Klopp auch Dank der Verwendung des Reiss Profil gefunden hat, waren so unterschiedlich so unterschiedlich wie Menschen eben nun einmal sind.

Dem Einen ist es wichtig, seine Familie um sich haben zu können, dem anderen der neue Sportflitzer und der dritte sieht sich am liebsten als Idol von möglichst vielen Fans. Den einen treibt der unbändige Wille am Ende der Sieger zu sein, der andere möchte sich im Dienste des Teams einbringen.

Unterschiedliche Motive die unterschiedliche Spieler, die unterschiedliche Menschen antreiben.

Das Reiss Profil besteht aus 16 (Lebens-) Motive oder Bedürfnissen, die bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind und  die der Psychologe Prof. Steven Reiss von der Ohio State University in den USA empirisch ermittelt hat: Familie, Status, Macht, Neugier, Rache, körperliche Aktivität, Essen, Ehre, Eros, emotionale Ruhe, Idealismus, Unabhängigkeit, Ordnung, Sparen & Sammeln und Anerkennung spannen dabei einen Rahmen, in dem man sich selbst besser verstehen lernt, sich selbst bewusster wird, „blinde Flecken“ erkennt und alltägliche Verhaltensweisen in einem neuen Licht betrachten kann.

Das persönliche Reiss Profil wird durch die Beantwortung eines Fragebogens ermittelt, der aus 128 Frage besteht, die von „Prestige ist sehr wichtig für mich“, über „Ich mag das Gefühl, dass meine Familie mich braucht“ bis hin zu „Ich bin hartnäckig, wenn ich andere von meiner Meinung überzeugen möchte“ reicht, wobei die Fragen jeweils mit einem Wert von -3 („trifft überhaupt nicht zu“) bis hin zu +3 („trifft absolut zu“) beantwortet werden. Dabei ist das Reiss Profil kein beliebiger „Persönlichkeitstest“ sondern eine wissenschaftlich fundierte und statistisch untermauerte Methode sich „ein Bild von sich“ zu machen.

Für mich stellt die Arbeit mit dem Reiss Profil eine stimmige Ergänzung für die Arbeit mit dem Wunsch nach Veränderung und Wachstum dar, den viele Coachees und Klienten mitbringen.

Denn Veränderung kann dann geschehen, wenn man sich nicht (nur) auf die gewünschte Veränderung, sondern vor allem auf die aktuelle Situation, das aktuelle Befinden, das Hier und Jetzt einlässt.

Genau wie der Bergsteiger den nächsten Gipfel nicht dadurch erreicht, dass er nur zum Gipfel schaut, sondern immer nur den aktuellen sicheren Stand und den nächsten Schritt im Auge behält, genauso kann das Reiss Profil ein guter Startpunkt sein, sich selbst besser zu verstehen und einzuschätzen. Nicht um dies dann als „gegeben“ hinzunehmen, sondern als Schritt hin zur gewünschten Veränderung.

Und getreu der Überzeugung, dass echte Veränderung, echtes Wachstum und nachhaltiges Lernen nur durch Erfahren und Erleben passieren kann, möchte ich das Reiss Profil und die Arbeit damit nicht nur als „kognitives Verstehen von Testergebnissen“ verstehen und leben, sondern erfahrbar machen.

Sich scheinbar widersprechende Motive in einen Dialog bringen, den leeren Stuhl nutzen, sich in das eine oder andere Motiv einzuspüren oder Aufstellungsarbeit mit den Motiven und dem System, das diese aufspannen, sind ein paar Ideen und Ansätze, die ich dabei verfolgen möchte.

Dabei aber natürlich immer im Kontakt mit dem Coachee oder Klienten und ohne Schubladendenken oder vordefinierter Techniken und Methoden.

Von der Arbeit mit Polaritäten

Andreas Bourani hat neben all den Gedanken, die er „nur in seinem Kopf hat“, noch mehr interessante Texte wie ich finde. Besonders  angesprochen haben mich beispielsweise die folgenden Zeilen aus So Leicht So Schwer.

Ich bin gut, bin viel zu böse.
Ich fühl mich groß, Ich fühl mich klein.
Ich bin ein Sieger, ein Verlierer.
Bin gern bei euch und gern allein.
Ich bin die Ruhe, die Ekstase
Ich bin hart und viel zu weich.
Ich bin so gierig und bescheiden.

In der Arbeit mit Klienten und Coachees ist genau dieses UND oft ein grosses Thema. Wer will schon böse sein und nicht gut? Wer ein Verlierer und kein Sieger? Wer fühlt sich schon gerne klein und nicht immer gross? Wer ist schon gerne gierig und nicht immer bescheiden?

Aber das eine geht wohl nur mit dem anderen aus meiner Sicht. Der eine Pol exisitert nur mit dem anderen Pol. Und wir sind sicherlich wirklich nur dann wir selbst, wenn wir diese Polaritäten zulassen, anerkennen und integrieren.

Es ist so leicht, so schwer.
Ich Pendel zwischen beiden
Seiten hin und her.

Dieses Hin- und Herpendeln kann in der Tat eine sehr intensive und lehrreiche Erfahrung sein. Und im besten Gestalt-Sinne würde ich dem Klienten oder Coachee vielleicht anbieten, sich (abwechselnd) auf 2 Stühle zu setzen, die jeweils den einen und den anderen Pol repräsentieren.

Auf dem einen Stuhl bin ich „böse“, auf dem anderen „gut“. Auf dem einen bin ich „stark“, auf dem anderen darf ich „schwach“ sein. Auf dem einen bin ich gerne in Gesellschaft, auf dem anderen geniesse ich das Alleinsein.

Und vielleicht entsteht ein Dialog zwischen den beiden Stühlen, zwischen den zwei Polaritäten?

Was will ich meinem „schwachen“ Ich sagen, dass mir gegenübersitzt, wenn ich auf dem „starken“ Stuhl sitze? Wie geht es meinem „bösen“ Gegenüber, wenn ich auf dem „guten Stuhl“ sitze? Was möchte gesagt werden zwischen meinen Polaritäten? Welche Seite verlangt mehr Aufmerksamkeit oder möchte einfach nur akzeptiert werden? Welche Seite möchte genau dies nicht und fühlt sich „als etwas Besseres“?

Was braucht es, damit ich die beiden Polaritäten wirklich integrieren kann?

Denn der Preis für sich „bekämpfende“ Polaritäten kann hoch sein: wer nur „gut“ sein möchte, kann vielleicht nicht für seine Grenzen einstehen und nur schwer „Nein“ sagen. Wer sich das Alleinsein nicht gönnt, ist vielleicht auch nie richtig anwesend in Gesellschaft. Wer nicht „weich“ sein darf, legt sich vielleicht einen allzuharten Panzer zu, der am Ende keine Gefühle mehr zulässt.

Ich bin ich und ich verlier mich.
Ich bin mutig und so Feig.
und ich versteh dich und versteh´s nicht
Ich hab Geduld und keine Zeit

Ich bin ein Fels und komm ins wanken.
Ich sag die Wahrheit und ich lüge.
Ich bin zu leer und voll gedanken
Bin voller Hass und voller Liebe.

Die Arbeit mit Polaritäten kann sehr hilfreich und befreiend sein.

Und wie so oft beginnt diese Arbeit meist ganz unkompliziert im Hier und Jetzt. Mit neugierigem und wohlwollendem Beobachten von dem was sich zeigt. Wenn ich mich mit meinem Polaritäten befasse und mich darauf einlasse, dass der eine Pol nur mit dem anderen Pol exisitieren kann.

In diesem Sinne steht für mich Gestalt sicher auch für UND. Denn ich bin eben das eine UND das andere.

Vom Therapeutentsein

Was macht einen Gestalttherapeuten zu einem Gestalttherapeuten?

Fritz Perls hat die folgende „Definition“ formuliert:

„Ich akzeptiere niemand als kompetenten Gestalttherapeuten, solange er noch ‚Techniken‘ benützt. Wenn er seinen eigenen Stil gefunden hat, wenn er sich selbst ins Spiel bringen kann und den Modus (oder die Technik), die die Situation verlangt, nicht der Eingebung des Augenblick folgend erfindet, ist er kein Gestalttherapeut.“

Eine für mich sehr stimmige Definition ist die folgende:

„Er (der Therapeut) betrachtet sich auch nicht als zuständig für die Befriedigung der Bedürfnisse seiner Klientin oder seines Klienten. Er kommt daher nicht in die Gefahr, Helfer, Antreiber, Bremser, Prediger, Bewerter, Besserwisser oder trickreicher Psychotechniker zu werden. Er interessiert sich vielmehr dafür, wie sein Klient es schafft, seine Bedürfnisse nicht zu befriedigen, und unterstützt ihn mit seiner ganzen Kompetenz dabei, im Verlaufe seiner Prozesse seine eigenen Wege und seine eigenen Lösungen zu entdecken.“

Und weiter:

„Ein Therapeut, der so arbeitet, braucht keine Regeln, Techniken oder gar Tricks. Es ist, der er ist, und folgt dem, was von Moment zu Moment geschieht, ohne sich zu verzetteln. Er hilft, ohne Helfer zu sein; er sich sich seiner selbsr sicher ohne Arroganz; er konfrontiert, ohne hart zu werden; er ist fürsorglich, ohne Sorgen seines Klienten zu übernehmen; er ist präsent ohne Aufdringlichkeit; er ist ernsthaft, ohne seinen Humor zu verlieren; er ist liebevoll, ohne sich persönlich zu verwickeln; er lacht, ohne seinen Klienten auszulachen; er ist berühtbar, ohne seine Grenzen aufzugeben“ – Frank-M.  Stämmler & Werner Bock

Alles nur in meinem Kopf

Alles nur in meinem Kopf.

Ganz abgesehen davon, dass meine zwei Lieblingsneffen dieses Lied gerade rauf- und auch wieder runterhören, finde ich die eine oder andere Zeile doch wirklich hörens- und vor allem lesenswert (das gilt übrigens für die ganze CD wie ich finde. Mein persönlicher Favorit ist eindeutig „Wunder“).

Ich kann in 3 Sekunden die Welt erobern
Den Himmel stürmen und in mir wohnen.
In 2 Sekunden Frieden stiften, Liebe machen, den Feind vergiften.
In ’ner Sekunde Schlösser bauen
2 Tage einzieh’n und alles kaputt hau’n.
Alles Geld der Welt verbrenn‘
und heut‘ die Zukunft kenn‘.

In der Tat sind da schon wirklich unendliche Möglichkeiten, die wir in unserem Kopf mit uns herumtragen. Und solange uns diese (nur) gedachten Möglichkeiten nicht vom „wahren“ Leben abhalten, finde ich das auch eine prima Sache. Vor allem, wenn man zur gegebenen Zeit zumindest den einen oder anderen Gedanken in die Realität umsetzt. Und das dann vielleicht noch besser wird, als man es sich jemals in Gedanken ausgemalt hat?!

Und das ist alles nur in meinem Kopf.
Und das ist alles nur in meinem Kopf.
Ich wär‘ gern länger dort geblieben,
doch die Gedanken kommen und fliegen.
Alles nur in meinem Kopf
Und das ist alles nur in meinem Kopf.

„Ich wär gern länger dort geblieben“ – das ging mir schon bei der einen oder anderen Meditation oder Phantasiereise so. Da kann die Zeit wirklich wie im Fluge vergehen und ich wundere mich danach, wie schnell eine Stunde vergehen kann, wenn die „Gedanken kommen und fliegen“.

Was aber tun, wenn die Gedanken vielleicht kommen, aber scheinbar nicht mehr wegwollen? Oder so viel Aufmerksamkeit einfordern, dass man vor lauter „Gedankendenken“ nicht mir zum Leben leben kommt. Nur noch die gedachten Optionen sieht. Und die Chancen verpasst, die sich mitunter im Hier und Jetzt zeigen?

Wenn man in Gedanken schon die „Hochzeit in Weiss“ plant, das nette Mädel am Tisch gegenüber aber noch garnicht angesprochen hat. Wenn man gedanklich noch bei der Arbeit ist, und dadurch den schönen Abend mit der Familie „verpasst“? Wenn man das Leben, das man sich erhofft, im wahrsten Sinne des Wortes nur in Gedanken lebt? Wenn man am Ende nur „gedacht“ und nicht „gelebt“ hat?

Wir sind für 2 Sekungen Ewigkeit unsichtbar
Ich stopp die Zeit
Kann in Sekunden Fliegen lernen
Und weiß wie’s sein kann, nie zu sterben.
Die Welt durch deine Augen seh’n.
Augen zu und durch Wände geh’n.

„Kann in Sekunden fliegen“ – ist eine tolle Vorstellung, die Realität, die ich vor kurzem beim Sprung aus 4000 Meter erlebt habe, war aber ungleich fesselnder finde ich. Für mich ein wunderbares Beispiel, dass es sich lohnt, den einen oder anderen bis jetzt nur gedachten „Traum“ oder Gedanken auch in die Realität umzusetzen.

Du bist wie ich, ich bin wie du
Wir alle sind aus Fantasie
Wir sind aus Staub und Fantasie
Wir sind aus Staub und Fantasie

„Wir alle sind aus Fantasie“ – so schön Fantasien sind, mein Gegenüber möchte ich doch wennmöglich vor allem so wahrnehmen und erleben, wie er oder sie auch ist. Nicht das Bild oder die Fantasie von ihm oder ihr. Ansonsten bliebt es wohl nur bei einem recht oberflächlichen „Kontakt“ zwischen Fantasien.

Alles nur in meinem Kopf
In meinem Kopf
Ich wär‘ gern länger dort geblieben,
doch die Gedanken kommen und fliegen

Ich finde es wunderbar „Gedanken zu spinnen“ – mal kürzer, mal länger. Und dann möchte ich den einen oder anderen Gedanken nehmen, und ihn in die Tat umsetzen. Das ist für mich die stimmigste Kombination.

Dann ist eben nicht alles nur in meinem Kopf – sondern wird Teil von meinem Leben.